Was kann die EU gegen Ungleichheit tun? Beispiele aus Südafrika, Paraguay und Bangladesch Posted on 4. Juli 2023 - 8:00 by Paula Kunzemann Die Verringerung von Ungleichheiten ist das zehnte von 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Agenda 2030 und geht mit dem Versprechen, niemanden zurückzulassen (Leaving no one behind) einher. Auch andere SDGs beziehen sich indirekt auf die Bekämpfung von Ungleichheiten in ihren unterschiedlichen Dimensionen. Globale Ungleichheiten wirken sich auf vielfältige Weise aus: Sie betreffen beispielsweise den Zugang zu Dienstleistungen und Ressourcen, das Recht auf einen angemessenen Lebensunterhalt oder die Teilhabe an politischen Prozessen. Die Ursachen für Ungleichheiten sind häufig Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, des Alters, der Herkunft, einer Behinderung, der sexuellen Identität oder Orientierung – und verstärken sich gegenseitig. Eigene Darstellung: was ist wichtig beim Abbau von Ungleichheiten? CONDORD begrüßt, dass die Europäische Union die Bekämpfung globaler Ungleichheiten zunehmend als zentrale Herausforderung betrachte, denn aufgrund seiner kolonialen Vergangenheit und seines heutigen Wohlstands trage der Kontinent eine große Verantwortung, diese abzubauen. Doch betont CONCORD, dass die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen Europas dahingehende Bemühungen oftmals untergraben: Sie seien nach wie vor von neokolonialen Strukturen geprägt, die Ungleichheiten aufrechterhalten. In einem aktuellen Bericht stellt CONCORD bestehende, von der EU geförderte Programme aus Südafrika, Paraguay und Bangladesch vor, die den Zugang zu öffentlichen Institutionen, aber auch die Verwaltung und Infrastruktur verbessern sollen. Diese unterstützen schon heute marginalisierte Gruppen dabei, Gleichberechtigung bzw. Gerechtigkeit zu erlangen. An diesen und ähnlichen Good-Practice-Beispielen solle sich die EU bei der Förderung künftiger entwicklungspolitischer Projekte orientieren, um treffsicherer dazu beizutragen, Ungleichheiten zu verringern. Südafrika Südafrika ist eines der ungleichsten Länder der Welt. Das Land hat weltweit den höchsten Gini-Koeffizienten, der die relative Konzentration von Vermögen bzw. Einkommen misst und dadurch Ungleichheit weltweit vergleichbar macht. Dabei spielt die andauernde rassistische Ungleichheit eine große Rolle: Seit Ende der Apartheid 1994 sind Einkommens- und Vermögensungleichheit sehr hoch geblieben. Südafrika erreicht im Human Development Index Platz 109 von 191. Die Arbeitslosenquote liegt konstant über 30%. 10 Mio. Menschen (ca. 17% der Bevölkerung) leben in informellen Siedlungen ohne angemessene Grundversorgung. In Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt rangiert das Land laut Gender-Inequality-Index auf Platz 97 von 170 (2021). Die Frauenmordrate (Femizid) liegt deutlich über dem Weltdurchschnitt. Vor allem Landarbeiterinnen, seit Generationen an den Rand der Gesellschaft gedrängt, sind besonders von Ungleichheit betroffen. Projektbeispiel: Mobiltelefone für ein besseres Leben in informellen Siedlungen – eine Stimme für die Bewohner*innen informeller Siedlungen © CONCORD Das Projekt Asivikelane riefen mehrere Organisationen als Reaktion auf die Lockdowns während der COVID-19-Pandemie ins Leben. Ziel war es, die Geschehnisse in informellen Siedlungen zu dokumentieren und sicherzustellen, dass Anliegen der Communities gehört werden. Seither hat sich das Projekt weiterentwickelt und erreicht heute rund 400 informelle Siedlungen in zehn Gemeinden. Jeden Monat beantworten Bewohner*innen per SMS, WhatsApp oder Telefon eine Reihe von Fragen, zum Beispiel zur Wasser- und Abwasserversorgung oder zur Müllabfuhr. Asivikelane fasst die Daten in einem Ampelsystem zusammen, wodurch der Versorgungsstand überprüfbar ist und teilt die Ergebnisse mit der Regierung. Zusätzlich unterstützt das Projekt Bewohner*innen dabei, den kommunalen Haushalt besser zu planen und sich in den Planungsprozess einzubringen Einwohner*innen aus 53 Siedlungen kommentierten den Haushalt und nahmen an öffentlichen Haushaltssitzungen teil, um konkrete Empfehlungen abzugeben, z.B. höhere Budgets für Wasser- und Stromversorgung, Toiletten sowie die Müllabfuhr. Nach Veröffentlichung der Budgets zeigte sich, dass es große Veränderungen gegeben hatte, z.B. waren die Mittel für Toiletten in informellen Siedlungen um 53% gestiegen. Ein Ergebnis, das auf das Engagement der Zivilgesellschaft zurückzuführen war. Auch wenn es noch viel zu tun gibt (zum Beispiel, um die Transparenz von Geldflüssen zu gewährleisten), zeigt das Projekt, dass ein Kanal, über den Bewohner*innen informeller Siedlungen aktiv mit der Regierung zusammenarbeiten können, dazu beitragen kann, ihre Lebensqualität zu verbessern und somit Ungleichheiten zu reduzieren. Paraguay Paraguay ist eines der Länder Südamerikas mit dem höchsten Grad an Ungleichheit, wobei die indigene Bevölkerung besonders betroffen ist. Die Stabilität der paraguayischen Wirtschaft hat die Ungleichheit nicht verringert. Eine hohe Arbeitslosenquote führt dazu, dass viele junge Menschen in die Zentren migrieren. Paraguay erreicht im Human-Development-Index Platz 105 von 191 (2022) und im Gender-Inequality-Index Platz 111 von 170 (2021). Projektbeispiel: Selbstvertreter*innen kämpfen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen © CONCORD Das Projekt Bridging the Gap der EU und einiger Mitgliedstaaten zielt darauf ab, die Inklusion von Menschen mit Behinderungen in mehreren Ländern des Globalen Südens, darunter Paraguay, zu verbessern. In einer ersten Phase evaluierte das Projekt bestehende staatliche Instrumente, die dazu beitragen sollten, die Internationale Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (CRPD) umzusetzen. Paraguay hatte die Konvention im Jahr 2008 ratifiziert. In einer zweiten Phase stellte Bridging the Gap öffentlichen Institutionen des Landes fehlende Instrumente bereit, um einen nationalen Inklusionsplan zu stärken. Um im Zuge dieses Plans Fördermittel aus dem Staatshaushalt erhalten zu können, wurden in einem partizipativen Prozess verpflichtende Indikatoren für Institutionen entwickelt. Paraguay gelang es, die Zugänglichkeit von Websites für Menschen mit Behinderungen zu verbessern und das Bildungssystem inklusiver zu gestalten. Das Land vereinfachte Verfahren zur Datenerfassung und führte auch eine Studie durch, wie bei einer Volkszählung besser Daten über Behinderungen erhoben werden könnten. Öffentliche Institutionen sind nun verpflichtet, über gesetzte Maßnahmen und verwendete Methoden zu berichten. Dass Selbstvertreter*innen von Anfang an miteinbezogen wurden, war ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Bridging the Gap in Paraguay. Einer von ihnen war Mario, Mitglied derNationalen Kommission für Behinderung (CONADIS). In Zusammenarbeit mit der Spanischen Agentur für internationale Entwicklungszusammenarbeit (AECID) stellten er und weitere Selbstvertreter*innen sicher, dass Menschen mit Behinderungen eine zentrale Rolle im Prozess einnahmen. Mario hob für den Bericht von CONCORD hervor, dass Bridging the Gap eine zugängliche und inklusive Entwicklungszusammenarbeit für Menschen mit Behinderungen in Paraguay ermöglicht habe, wodurch sich ihre gesellschaftliche Teilhabe und die Wahrung ihrer Rechte verbesserte. Zuvor habe Mario beispielsweise die Erfahrung gemacht, dass Menschen in Paraguay bereits die Bereitstellung von Rollstühlen als Inklusion werteten. Bangladesch Viele Veränderungen der letzten 20 Jahre, etwa Wirtschaftswachstum und gestiegene Einkommen, gingen mit wachsender Ungleichheit einher. 20% von Bangladeschs Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Bangladesch ist aufgrund seiner geografischen Lage und seiner sozio-ökonomischen Situation für die Auswirkungen der Klimakrise anfällig, wobei sie verschiedene Gruppen unterschiedlich hart treffen (z.B. Indigene). Bangladesch belegt im Human-Development-Index Platz 129 von 191 (2022), im Gender-Inequality-Index Platz 133 von 162 (2021). Projektbeispiel: Dorfgerichte stärken die Justiz in Gemeinden © CONCORD Bezirksgerichte in ländlichen Gebieten Bangladeschs haben oftmals nicht genügend Kapazitäten, um alle vorliegenden Verfahren zu bearbeiten. Daher erließ die Regierung 2006 den Village Court Act: Das Gesetz ebnete den Weg für eine Alternative zu zivil- und strafrechtlichen Verhandlungen. Um das System der Dorfgerichte in Bangladesch zu stärken, das zu mehr Gerechtigkeit in den Gemeinden beitragen soll, unterstützen EU und UNDP das Programm Activating Village Courts. Nach einer ersten Testphase erreichte es in Zusammenarbeit mit der Regierung und zivilgesellschaftlichen Organisationen bis März 2023 über 21 Mio. Menschen. Die Verfahren behandeln Landrechte über Einkommenskonflikte bis hin zu Diebstählen und finanziellen Streitigkeiten. Indem Activating Village Courts den Zugang zu Justiz in ländlichen Gemeinden erleichtert, trägt es dazu bei, soziale und politische Ungleichheiten zu verringern. Der Erfolg der Dorfgerichte ist auf ihren lokalen Charakter zurückzuführen. Das Projekt konzentrierte sich auf den Aufbau von Kapazitäten auf lokaler Ebene, insbesondere in der Rechtsberatung, die Zusammenarbeit mit NROs und die Durchführung von Sensibilisierungskampagnen, um sicherzustellen, dass diese Gerichte auch marginalisierten Gemeinschaften bekannt und zugänglich sind. Einige Empfehlungen von CONCORD an die EU-Mitgliedsstaaten: Um Ungleichheiten langfristig abzubauen, ist es notwendig, dass entwicklungspolitische Projekte der EU ein multidimensionales Verständnis von Ungleichheit haben und einen menschenrechtsbasierten Ansatz sowie Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung in allen Bereichen verfolgen. Um das zu erreichen empfiehlt CONCORD, dass die Mitgliedstaaten die Bekämpfung von Ungleichheit zu einer Priorität machen, indem sie … … die Bekämpfung bzw. Verringerung von Ungleichheiten in ihre Strategien, politische Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit einbeziehen. … in Ausbildungen investieren, in denen die Reduktion von Ungleichheiten vermittelt wird. … Instrumente entwickeln, die mehrdimensionale Ungleichheiten in den Partnerländern adressieren. … zivilgesellschaftliche Organisationen stärker in Analysen und Bewertungen einbeziehen, da sie ein großes Wissen über die Ursachen von Ungleichheiten in den jeweiligen Ländern haben. CONCORD hat einen Leitfaden darüber erstellt, wie die Zivilgesellschaft in EU-Entscheidungen besser integriert werden kann. … aufgeschlüsselte Daten in Bezug auf Ungleichheiten sammeln (z.B. nach Einkommen, Geschlecht, Alter, ethnische Zugehörigkeit, Behinderung, Migrationshintergrund, Wohnort, etc.). … sich zum Ziel setzen, 20% ihrer öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen (ODA) für Projekte auszugeben, die als Hauptziel entweder die Ursachen von Ungleichheiten reduzieren oder die Gleichstellung der Geschlechter fördern wollen. … einen menschenrechtsbasierten Zugang in allen Programmen und Projekten verfolgen, z.B. indem in Projekten mit Menschenrechtsaktivist*innen zusammengearbeitet wird. … mit der Regierung des Partnerlandes zusammenarbeiten, um einen systemischen, langfristigen Wandel zu gewährleisten. … eine Politikkohärenz-Bewertung in allen Konsultationen zu neuen Politiken und Programmen durchführen. Bericht CONCORD (März 2023): What makes the difference for equality? Voices from South Africa, Paraguay and Bangladesh on what the EU can do Projekte International Budget Partnership (2023): Asivikelane in South Africa European Union (2021): Briding the Gap in Paraguay Delegation of the European Union to Bangladesh (2020): Activating Village Courts in Bangladesh Weitere Links United Nations Development Programme: Human Development Index (HDI) United Nations Development Programme: Gender Inequality Index (GII) CONCORD (November 2022): 7 practices for civil society participation in EU decision-making Arbeitsgemeinschaft Globale Verantwortung: Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (pk)
Stellungnahme zum strategischen Leitfaden des BMF für die Internationalen Finanzinstitutionen Posted on 29. März 2023 - 12:28 by Paula Kunzemann Der zuletzt 2015 erschienene strategische Leitfaden des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) für Internationale Finanzinstitutionen (IFIs) wurde seitens der Fachabteilung des Bundesministeriums für Finanzen einer grundlegenden Aktualisierung und Überarbeitung unterzogen. Gemeinsam mit der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für Internationale Entwicklung und Mission (KOO) haben wir schriftlich Stellung genommen. Unten befindet sich, zur Information, eine kommentierte Übersicht über alle eingelangten externen Anmerkungen. In dieser Matrix ist auch vermerkt, ob, wo und in welcher Form die Änderungsvorschläge übernommen wurden. Diese wurde vom BMF erstellt. Gemeinsam mit der KOO haben wir in einem weiteren Brief Änderungen für zukünftige Konsultationsprozesse vorgeschlagen, um eine umfassendere Berücksichtigung von Stakeholder-Anregungen zu ermöglichen. Außerdem haben wir einige eingebrachte Punkte nochmals hervorgehoben und eine Berücksichtigung in der aktuellen Strategie angeregt. Downloads AG Globale Verantwortung & KOO (21.03.2023): Stellungnahme zum Strategischen Leitfaden des BMF für die Internationalen Finanzinstitutionen Bundesministerium für Finanzen (Mai 2023): Kommentierte Übersicht über Anmerkungen AG Globale Verantwortung & KOO (22.05.2023): Rückmeldung zur externen Stakeholderkonsultation zum Strategischen Leitfaden des BMF für die IFIs Bundesministeriums für Finanzen (2023): Strategischer Leitfaden des BMF für die Internationalen Finanzinstitutionen (final)
UNRISD schlägt neuen Gesellschaftsvertrag vor, um systembedingte Ungleichheiten auf der Welt zu überwinden Posted on 21. März 2023 - 12:22 by Paula Kunzemann Die Kernaussagen des Berichts Die Welt steht vor einer Zerreißprobe, in der sich multiple Krisen immer weiter verstärken. Ungleichheiten, Klimakrise sowie Krisenanfälligkeit sind Merkmale des globalen Wirtschaftssystems. Daher kann lediglich ein systemischer Wandel die Entwicklung verhindern. Ungleichheit ist Treiber, Verstärker und Folge von verschiedenen Krisen. Das Ergebnis ist ein Teufelskreis, in dem marginalisierte Gruppen immer mehr leiden, während sich die Eliten vor den Krisen (vorerst) schützen können. Es braucht Gesellschaftsverträge, die auf Gerechtigkeit, Gleichheit und Nachhaltigkeit aufbauen. Nur wenn Machtverhältnisse neu ausbalanciert werden, kann Wandel passieren. Denn bislang profitieren einige wenige auf Kosten der Mehrheit. „Unsere Welt steht vor einer Zerreißprobe, konfrontiert mit schweren Krisen, politischen Spaltungen und der existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel. Der Flagship-Bericht zeigt, dass es einen roten Faden gibt, der diese Krisen miteinander verbindet: wachsende wirtschaftliche und soziale Ungleichheiten, die Krisen verursachen und als Ergebnis von ihnen verstärkt werden. Jetzt ist es an der Zeit zu handeln und einen neuen ökosozialen Gesellschaftsvertrag zu schmieden, der auf den Menschenrechten und den Werten Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und Solidarität basiert.“ Dr. Katja Hujo, UNRISD-Senior Forschungskoordinatorin und Hauptautorin des Berichts Der rote Faden, der die Krisen zusammenhält: Ungleichheit Der Bericht Krisen der Ungleichheit. Machtstrukturen ändern für einen neuen ökosozialen Gesellschaftsvertrag des UN-Forschungsinstituts UNRISD beschreibt, inwiefern wirtschaftliche, soziale, politische und ökologische Ungleichheiten mit multiplen Krisen verknüpft sind, sich gegenseitig auslösen sowie verstärken können. UNRISD kritisiert, dass das internationale Wirtschaftssystem die Konzentration von Privat- und Unternehmensvermögen in Krisenzeiten zusätzlich begünstigt. Während Eliten mehr finanzielle Möglichkeiten haben, um sich vor Auswirkungen multipler Krisen zu schützen, sind vulnerable und bereits arme Menschen mit Diskriminierung, Gewalt, Erderhitzung und Umweltkatastrophen, mangelnder Gesundheitsversorgung, Hunger und weiter steigender Armut konfrontiert. Die Chance auf ein menschenwürdiges Leben für alle auf einem gesunden Planeten schwindet. © UNRISD 2022 Ein neues, globales System ist notwendig Ein Vorschlag des UN-Forschungsinstituts lautet, einen neuen Gesellschaftsvertrag aufzusetzen, der die Position von Mensch und Umwelt gegenüber jener von Staat und Märkten stärkt. Dafür gilt es allerdings, Wirtschaft und Gesellschaft umzustrukturieren, Klimakrise und Umweltzerstörung aufzuhalten, jegliche Ungleichheiten zu verringern sowie historische Ungerechtigkeiten, etwa Kolonialismus, Sklaverei und deren heutige Nachwehen, aufzuarbeiten. UNRISD schlägt neuen Gesellschaftsvertrag vor Um diese Vision in die Realität umsetzen zu können, schlägt der Bericht einen Gesellschaftsvertrag vor, der sich an folgenden sieben Grundsätzen orientiert. Dafür ist es auch notwendig, Werte, die unsere Gesellschaften und somit auch Politik und Institutionen prägen, zu überdenken: Menschenrechte für alle Faire Fiskalverträge Transformierte Volkswirtschaften und Gesellschaften Ein Vertrag für die Natur Aufarbeitung historischer Ungerechtigkeiten Geschlechtergerechtigkeit Solidarität Ein neues, dreiteiliges Entwicklungsmodell soll Gerechtigkeit, Gleichheit, Nachhaltigkeit und Resilienz fördern: Alternative Wirtschaftsansätze, die soziale Klimagerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt und die Wirtschaft wieder in die Gesellschaft einbetten. Eine transformative Sozialpolitik, die durch einen fairen Fiskalvertrag untermauert wird. Einen neu konzipierten Multilateralismus und gestärkte Solidarität. Solch ein Entwicklungsmodell soll durch politische Maßnahmen in den folgenden Politikbereichen erreicht werden, die allesamt auf den Abbau von Ungleichheiten abzielen: Universelle Sozialpolitik Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik Fiskalpolitik Unternehmens- und Marktregulierung Sozial nachhaltige Umweltpolitik Stadtpolitik Ernährungssouveränität und Ernährungspolitik Gleichstellungspolitik Antidiskriminierungspolitik und Fördermaßnahmen Demokratische Regierungsführung und Zugang zu Rechten Reformen der globalen Governance und globale Umverteilung Links UNRISD Flagship Report 2022 (22.10.2022): Crisis of Inequality. Shifting Power for a New Eco-Social Contract Robert Bosch Stiftung (25.01.2023): deutsche Zusammenfassung des Berichts (pk)
Auf dem Weg zu Gerechtigkeit: Wie EU-Staaten Ungleichheiten im Rahmen ihrer internationalen Zusammenarbeit angehen Posted on 14. Dezember 2022 - 10:33 by Paula Kunzemann Steigende Ungleichheit innerhalb und zwischen Staaten ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind infolge der COVID-19-Pandemie enorm angestiegen. In einem Artikel haben wir zusammengefasst, inwiefern die Pandemie Ungleichheiten in Bezug auf Vermögen, Einkommen, Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheitsversorgung und zwischen Ländern verschärft hat.[1] Ungleichheiten abbauen – das war auch ein Grundgedanke, als alle 193 UN-Mitgliedstaaten auf der Generalversammlung 2015 die Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) verabschiedeten. Das zehnte Ziel, weniger Ungleichheiten, besagt unter anderem, dass bis 2030 “alle Ungleichheiten innerhalb und zwischen den Ländern” abgebaut werden sollen.[2] Für seinen Inequality-Report hat CONCORD, der europäische Dachverband für entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen, untersucht, wie sich EU-Staaten bei der Bekämpfung von Ungleichheiten schlagen. Der Bericht kommt zu vier Schlussfolgerungen: Politisches Commitment: ja. Umsetzung: unzureichendDie EU-Mitgliedsstaaten machen zwar politische Zusagen, aber sie setzen sie bislang nur unzureichend um. Politische Kohärenz fehlt: Entwicklungsministerien (bzw. für Entwicklungspolitik zuständige Ressorts) zeigen zwar viel Engagement, jedoch werden sie dabei von anderen Ministerien, die z.B. für Handel, Steuer- oder Klimapolitik zuständig sind, nicht ausreichend unterstützt. Ungleichheiten zwischen den Ländern: Die Mehrheit der Mitgliedstaaten erreicht das international vereinbarte Ziel, 0,7% des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfeleistungen (Official Development Assistance, ODA) zur Verfügung zu stellen, nicht. Gleiches gilt für das Ziel, insbesondere für die ärmsten Länder der Welt (Least Development Countries, LDCs) Mittel bereitzustellen, wodurch Ungleichheiten zwischen Staaten weiter steigen. Mehr Zusammenarbeit und Peer-Learning notwendig: Einigen Mitgliedstaaten gelingt es, in bestimmten Bereichen Ungleichheiten zu reduzieren. Bei Peer-Learnings und Beratungen sollten sie ihr Wissen mit anderen Ländern teilen. © CONCORD: Das politische Commitment der EU-Mitgliedsstaaten: Je dunkler die Farbe, desto mehr Commitment Mündliche Zusagen allein bringen nichts Politische Zusagen sind zwar ein wichtiger Ausgangspunkt, um Ungleichheiten zu bekämpfen. Sie leiten an sich aber keine notwendigen Veränderungen ein. Während sich die meisten Mitgliedsstaaten in Programmplanungen, öffentlichen Erklärungen und Kooperationsstrategien dazu bekennen, Ungleichheiten verringern zu wollen, spiegelt sich ein ernstgemeintes Commitment nur bei wenigen Mitgliedsstaaten in eindeutig messbaren Zielen wider. Entwicklungszusammenarbeit mit Fokus auf Gleichberechtigung CONCORD hat analysiert, inwiefern EU-Mitgliedstaaten ihre Entwicklungszusammenarbeit auf Sektoren und Interventionen ausrichtet, die das Potenzial haben, Ungleichheiten zu verringern. Eins vorab: Ein klares Bild, welche finanziellen Mittel die Staaten dafür bereitstellen, lässt sich nicht zeichnen. CONCORD betrachtet insbesondere fünf Schlüsselaspekte: Fokus auf menschliche EntwicklungBildung, Gesundheit, Wasser- und Abwasserversorgung, soziale Infrastruktur sowie andere Dienstleistungen und Nahrungsmittelhilfe: Nur wenn sich diese Bereiche komplementär ergänzen, können Ungleichheiten abgebaut und menschliche Entwicklung im Sinne des Human Development Index (HDI) verbessert werden – und damit letztlich die Lebensbedingungen von Menschen in Ländern des Globalen Südens. Die meisten Mitgliedsstaaten stellen zwischen 20 und 30% ihrer ODA für diese Sektoren bereit. Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion von Menschen mit BehinderungenDer EU-Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter (EU Gender Action Plan)[3] schreibt fest, dass bis 2025 mindestens 85% aller neuen Maßnahmen, die Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer Entwicklungshilfe setzen, zur Gleichstellung der Geschlechter beitragen sollen. Die engagiertesten 13 Staaten erfüllen diese Vorgabe gerade einmal zu 40%. Darüber hinaus setzen nur wenige EU-Staaten spezifische Maßnahmen (Disability-marked Interventions), um die gesellschaftliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Angesichts der Tatsache, dass Menschen mit Behinderungen ca. 15% der Weltbevölkerung ausmachen und es daher viel größere Anstrengungen bräuchte, veröffentlichten wir 2022 ein Briefingpapier:[4] Darin zeigen wir auf, wie deren Inklusion im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit gelingen kann. Zivilgesellschaftliche Organisationen unterstützenObwohl es Konsens darüber gibt, dass es die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen braucht, um gegen Ungleichheiten vorzugehen, unterstützen Mitgliedsstaaten die Zivilgesellschaft mit nur 6,9% ihrer ODA. Länder des Globalen Südens brauchen höhere SteuereinnahmenDer Inequality-Report betont, dass Länder des Globalen Südens darauf angewiesen sind, zusätzlich zu öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen auch (mehr) Steuereinnahmen zu generieren, die sie bspw. für ihre Grundversorgung nutzen können. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, sie dabei zu unterstützen. Aber auch hier sprechen die Zahlen eine andere Sprache: Lediglich fünf Mitgliedstaaten geben mehr als 0,2% ihres ODA-Budgets für solch eine Unterstützung aus. Steuerpolitische Erfolge bleiben also weiterhin aus: Noch nicht alle EU-Mitgliedsstaaten haben die Addis-Tax-Initiative[5] unterzeichnet, entlang derer sie Länder des Globalen Südens dabei unterstützen sollen, Steuer- und Zollsysteme zu entwickeln, um ihre Steuerquoten langfristig zu erhöhen. Gleichzeitig haben Länder des Globalen Südens ihr Ziel, im Zuge des Domestic Revenue Mobilisation Programme ihre inländischen Einkünfte zwischen 2015 und 2020 zu verdoppeln, nicht erreicht.[6] Ungleichheit als multidimensionaler AnsatzUngleichheiten erfolgreich und nachhaltig zu bekämpfen, erfordert einen mehrdimensionalen, intersektionalen Ansatz. Dieser berücksichtigt, das Menschen mehrfach Diskriminierung erleben können, z.B. in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität, Behinderungen, Race, ethnische oder soziale Zugehörigkeit. Das kann sich negativ auf ihre Gesundheit, Sicherheit, Bildung, gesellschaftliche Teilhabe sowie auf ihre Arbeit und ihr Einkommen auswirken. Gruppen oder Einzelpersonen, die mit mehrdimensionalen Ungleichheiten konfrontiert sind, bleibt letztendlich der Zugang zu Menschenrechten verwehrt.Der Inequality-Report zeigt nun, dass lediglich elf Mitgliedstaaten (darunter auch Österreich) einen multidimensionalen Ansatz in ihren Programmen nutzen. Solange Politiken nicht kohärent sind, reicht internationale Zusammenarbeit nicht aus, um Ungleichheiten zu reduzieren Das Ziel von Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (PCSD) ist es, dass Wirtschafts-, Handels-, Finanz-, Landwirtschafts-, Sicherheits-, Migrations-, Sozial-, Gesundheits-, Bildungs-, Klima- und Umweltpolitik kohärent mit entwicklungspolitischen Zielen agieren und dazu beitragen, die Agenda 2030 zu erreichen. CONCORD hat sich für den Inequality-Report drei Bereiche angeschaut: Handel: Importe und WaffenhandelEinfuhren aus Ländern, die sich nicht an Standards der Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft (EITI)[7] halten, können Ungleichheiten weiter verschärfen. Noch immer gibt es 17 Mitgliedstaaten (darunter Österreich), die nicht Mitglied der Initiative sind und Rohmineralien, Holz und Energieträger aus den ärmsten Ländern importieren, die ebenfalls nicht EITI-Mitglied sind. Der Bericht zeigt zudem, dass Unternehmen aus 19 Mitgliedsstaaten (darunter Österreich) immer noch Waffen an LDCs, die sich im Krieg befinden, liefern. Belgien, Deutschland und Frankreich verkaufen sogar an mehr als zehn solcher Länder Waffen. CONCORD betont, dass EU-Staaten dadurch Konflikte weiter schüren und Ungleichheiten vertiefen. Rechenschaftspflicht von UnternehmenEine Rechenschaftspflicht für Unternehmen hat das Potenzial, Ungleichheiten erheblich zu verringern. Angesichts des Umfangs des EU-Handels wäre eine Rechenschaftspflicht für Unternehmen ein effektives Instrument, um dafür zu sorgen, dass international agierende Unternehmen entlang ihrer Lieferketten Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. CONCORD fand heraus, dass bislang nur Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich und die Niederlande dahingehende Gesetze vorgeschlagen oder verabschiedet haben. Klimakrise In Bezug auf die Klimakrise würde Politikkohärenz zweierlei bedeuten: Zum einen sollen EU-Mitgliedsstaaten einen konkreten Plan vorlegen, mit dem sie ihre nationalen Klimabeiträge[8] – z.B. Treibhaus-Emissionen bis 2030 senken und sich an Auswirkungen der Klimakrise anpassen – erreichen wollen. Zum anderen würde Politikkohärenz bedeuten, dass Mitgliedstaaten einen Plan vorlegen, wie sie ihren Energieverbrauch verringern können. Einige Mitgliedsstaaten (darunter Österreich) haben zwar einen Entwurf für die nationalen Klimabeiträge ausgearbeitet, jedoch nur acht Länder einen für Energiereduzierung. Davon bewertet die Europäische Kommission lediglich zwei Entwürfe als ausreichend. Es zeigt sich also: Die Mitgliedsstaaten sind nicht bereit, die Folgen der Klimakrise – die sich wiederum in Ungleichheiten niederschlagen – anzugehen. CONCORD resümiert, dass jene Menschen in Ländern des Globalen Südens, die jetzt schon am stärksten unter der Klimakrise leiden, auch weiterhin die Hauptlast tragen. Damit verbundene Kosten in Form von Verlusten und Schäden sind groß. Die Untätigkeit der Mitgliedstaaten bedeutet, dass sie dabei sind, ihre entwicklungspolitischen Fortschritte der letzten Jahre zu untergraben. © CONCORD: Österreichs Engament bei der Bekämpfung von Ungleichheiten in Partnerländern Welche Instrumente nutzen die Mitgliedsstaaten, um Ungleichheiten abzubauen? Um die Frage zu klären, welche Instrumente EU-Mitgliedstaaten nutzen, um die von ihnen festgelegten Ziele zum Abbau von Ungleichheiten zu messen, hat CONCORD vier Elemente genauer untersucht: Gibt es einen Leitfaden bzw. Leitlinien zur Bekämpfung von Ungleichheiten in der internationalen Zusammenarbeit, einschließlich einer Anleitung, warum und wie man Ungleichheiten in einem Partnerland messen kann? Gibt es Belege für Monitoring, Evaluierung und Lernfortschritte? Wie werden Fortschritte gemessen? Setzen die zuständigen Institutionen einen Schwerpunkt auf den Abbau von Ungleichheiten (z.B. durch Fachpersonal)? Wird der Wissensaustausch durch gemeinsame Initiativen gefördert? Allgemein zeigt sich hier: Es gibt noch Luft nach oben, wenn es um konkrete Verfahren oder Leitlinien geht, mit denen Verpflichtungen in die Praxis umgesetzt werden sollen. Umverteilung von Wohlstand zwischen den Ländern EU-Mitgliedstaaten können den Wohlstand in Ländern des Globalen Südens unter anderem durch öffentliche Entwicklungshilfeleistungen, Schuldenerlass, Steuergerechtigkeit oder die Finanzierung von Klimaanpassungsmaßnahmen erhöhen. Im Zuge des Pariser Klimaabkommens (2015) versprachen sie ihren Partnerländern eine Klimafinanzierung in Höhe von 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr. Diese Mittel sollen EU-Staaten zusätzlich zur ODA entrichten, um zu verhindern, dass Gelder an anderer Stelle fehlen. Die Empfehlungen von CONCORD an die EU-Mitgliedsstaaten Politisches Engagement einstimmiger und deutlicher demonstrieren. Sicherstellen, dass alle internationalen Kooperationen dazu beitragen, Ungleichheiten abzubauen. Wohlstand zwischen den Ländern konsequent umverteilen, u.a. durch die Erhöhung der ODA-Quote auf die international vereinbarten 0,7% sowie 0,2% für die ärmsten Länder. Gezielte Maßnahmen ergreifen, die zur Beseitigung von Ungleichheiten innerhalb der Partnerländer beitragen, z.B. durch klare, messbare Ziele, durch die Unterstützung der Regierungsführung und Demokratisierung sowie der Umverteilung von Wohlstand innerhalb der Länder. Sicherstellen, dass Politikkohärenz im Interresse nachhaltiger Entwicklung in allen Sektoren durchgängig berücksichtigt wird. Link CONCORD (2022): The road to equality: How do EU Member States address inequalities through international cooperation? Quellen & Fußnoten [1] AG Globale Verantwortung (05.10.2022): „It has never been more expensive to be poor“: Oxfam schätzt, dass 2022 zusätzlich eine Viertelmilliarde Menschen in extreme Armut rutschen [2] Unterziele siehe SDG Watch Austria (o.D.): Weniger Ungleichheiten. Ungleichheiten in und zwischen Ländern verringern [3] Europäische Kommission (o.D.): Aktionsplan für die Gleichstellung der Geschlechter – die Rechte von Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt des Engagements für eine gleichberechtigte Welt rücken [4] AG Globale Verantwortung (27.04.2022): Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Entwicklungszusammenarbeit [5] Addis-Tax-Initiative (o.D.): About: Tax systems that work for people and advance the Sustainable Development Goals [6] United Nations University (o.D.): Revenue Mobilisation programme [7] siehe eiti.org [8] UNFCCC (o.D.): Nationally Determined Contributions (NDCs) (pk)
Multiple Krisen machen deutlich: Es braucht ambitionierte Lieferkettengesetze Posted on 25. Oktober 2022 - 15:33 by Paula Kunzemann United States Mission Geneva / flickr.com Beide Rechtsinstrumente sind von großer Bedeutung, um sicherzustellen, dass Unternehmen entlang ihrer Lieferketten Menschenrechte und Umweltstandards achten und somit einen effektiven Beitrag zur Erreichung der Agenda 2030 und der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung leisten. Die internationale Arbeitsorganisation der UN (ILO) schätzt in einem neuen Bericht, dass im Jahr 2021 über 28 Millionen Menschen von Zwangsarbeit betroffen waren und stellt fest, dass diese Zahl seit 2017 deutlich zugenommen hat. Sie weist außerdem darauf hin, dass Kinderarbeit – unter anderem in Folge der COVID-19-Krise – ebenfalls ansteigt: 2021 mussten etwa 160 Mio. Kinder arbeiten, oft unter gefährlichen und ausbeuterischen Bedingungen. Die Nichtregierungsorganisation Global Witness wiederum berichtet, dass in den letzten zehn Jahren mehr als 1.700 Menschen ermordet wurden, die sich für den Schutz der Umwelt und den Zugang zu Land – zum Beispiel in Zusammenhang mit Landgrabbing – eingesetzt haben. Diese dramatischen Zahlen zeigen, wie wichtig internationale, verbindliche Regeln sind, die Unternehmen dazu verpflichten, Risiken in ihren Lieferketten zu prüfen, Verletzungen von Menschenrechts- und Umweltstandards vorzubeugen, im Falle von Verletzungen diese zu beenden sowie Schäden wiedergutzumachen. Ebenso wichtig ist, dass Betroffene solcher Verletzungen Zugang zur Justiz haben, um ihre Rechte einzuklagen – unabhängig davon, in welchem Land ein Unternehmen, das zum Beispiel für eine Verletzung von Arbeitsrechten verantwortlich ist, seinen Sitz hat. Verhandlungen über ein globales Lieferkettengesetz in Genf… Als neu ernannter UN-Menschenrechtskommissar eröffnete der Österreicher Volker Türk die diesjährigen Verhandlungen in Genf, die fünf Tage (24. – 28.10.2022) andauern. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter unsere Mitgliedsorganisationen Südwind und die Dreikönigsaktion der Katholischen Jungschar, sind vor Ort vertreten. Sie setzen sich dafür ein, dass sich Österreich und die EU engagiert in die Verhandlungen einbringen, damit diese vorankommen und eine verbindliche Regulierung von Unternehmen im Bereich der Menschenrechte auf globaler Ebene Realität wird. Sie stellen die Perspektive von Menschen am Beginn der Lieferketten im Globalen Süden in den Mittelpunkt, deren Rechte verletzt werden. Das sind zum Beispiel Näher*innen in der Textilindustrie oder Minenarbeiter*innen im Bergbau. …und ein europäisches Lieferkettengesetz in Brüssel Die Verhandlungen über ein europäisches Lieferkettengesetz, die sogenannte Richtlinie über gesellschaftsrechtliche Sorgfaltspflichten betreffend die Nachhaltigkeit, laufen derweil intensiv. Die österreichischen Ministerien für Justiz sowie für Arbeit und Wirtschaft konsultieren dazu regelmäßig die österreichische Zivilgesellschaft. Wir bringen gemeinsam mit dem zivilgesellschaftlichen Bündnis TNC Treaty Alliance unsere Anliegen für eine effektive Richtlinie ein. Denn aktuell sind noch viele entscheidende Fragen offen. Etwa: Für welche Unternehmen wird das neue Gesetz gelten? Laut Entwurf der Europäischen Kommission ist ein Schwellenwert (Anzahl der Mitarbeiter*innen sowie Umsatz) vorgesehen, wodurch vor allem große Unternehmen betroffen wären. Auch: Wie weit in der Lieferkette reichen die Sorgfaltspflichten? Welche Pflichten werden in Bezug auf (direkte) Zulieferer bestehen? Schließlich: Wie wird die Haftung ausgestaltet sein, wenn Unternehmen ihre Sorgfaltspflichten nicht wahrnehmen? Unternehmen, die bereits Regeln nationaler Lieferkettengesetze (etwa von Frankreich oder Norwegen) einhalten müssen und sich auf das ab 2023 geltende deutsche Lieferkettengesetz vorbereiten, verfolgen den Prozess ebenfalls mit großem Interesse. Mehr als 100 Unternehmen haben sich im Februar dieses Jahres in einem offenen Brief für ein effektives EU-Gesetz ausgesprochen, denn sie sehen in dem Gesetz die Chance auf einen Paradigmenwechsel, um Menschen und unsere Erde besser zu schützen. Sie formulieren in ihrem Brief die Überzeugung, dass ein solches Gesetz Unternehmen darin unterstützen kann, resilienter und zukunftsorientierter zu werden. Denn die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, dass verantwortungsvoll handelnde Unternehmen, die ihre Wertschöpfungsketten resilienter und nachhaltiger gestalten, besser durch die Krise kamen. Es braucht ein globales und ein europäisches Lieferkettengesetz Eine Gruppe zivilgesellschaftlicher Organisationen betont in einem Statement, dass sowohl das UN-Abkommen als auch die EU-Richtlinie von großer Bedeutung sind und dass keines der beiden Instrumente das andere ersetzen kann. Ganz im Gegenteil, sie können sich – auch aufgrund ihrer jeweiligen Schwerpunkte – gegenseitig stärken und im Zuge der Verhandlungen gegenseitig inspirieren. Die aktuellen, multiplen Krisen könnten dazu führen, dass die Anzahl von Menschen, die weltweit in extremer Armut leben, auf 860 Mio. ansteigt. Daher ist es von besonderer Bedeutung, Menschenrechte, Umwelt und Klima besser zu schützen. Denn wenn Menschen für unangemessene Löhne unter gesundheitsschädigenden Bedingungen arbeiten oder ihre Ernte aufgrund von klimabedingten Dürren oder Überschwemmungen ausbleibt, sind sie gefährdet, in die Armut zu rutschen. Ambitionierte Lieferkettengesetze können einen wichtigen Beitrag leisten: Sie können sicherstellen, dass Unternehmen Maßnahmen treffen, um entlang ihrer Lieferketten Menschenrechte und Umweltstandards zu achten. Sie können dafür sorgen, dass Betroffene zu ihrem Recht – zum Beispiel einer Entschädigung – kommen. So können sie einen effektiven Beitrag zur Erreichung der Agenda 2030 und der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung leisten. Links UN-Prozess: UN-Menschenrechtsrat: Arbeitsgruppe zum UN-Abkommen über Wirtschaft und MenschenrechteHier können die Verhandlungen live verfolgt werden.Business & Human Rights Ressource Centre: Taking stock: Reflections on the progress of the UN Binding Treaty (Blogserie)Treaty Alliance Österreich: Österreich muss globales Lieferkettengesetz unterstützen! (Presseaussendung) EU-Prozess: Europäische Kommission: Vorschlag für eine Richtlinie über gesellschaftsrechtliche Sorgfaltspflichten betreffend die Nachhaltigkeit (23. Februar 2022)AG Globale Verantwortung: Stellungnahme zum Vorschlag der Europäischen Kommission für ein EU-Lieferkettengesetz (April 2022)EU-weite Kampagne: Justice is everybody`s business mit einer Petition für ein effektives EU-LieferkettengesetzEuropean Coalition for Corporate Justice et al.: EU and UN instruments must work in tandem to guarantee justice (Oktober 2022) (sv)
The Sustainable Development Goals Report 2022 Posted on 19. Oktober 2022 - 16:19 by Paula Kunzemann © United Nations 2022 Unter Verwendung der neuesten verfügbaren Daten und Schätzungen bietet der SDG-Bericht 2022 einen Realitätscheck über die verheerenden Auswirkungen multipler Krisen, die das Leben und die Lebensgrundlagen der Menschen beeinträchtigen. Weil immer noch erhebliche Datenlücken darüber bestehen, inwiefern Staaten dazu beitragen, die Agenda 2030 und ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) zu erreichen, ist es schwer, Fortschritte genau zu fassen. Die COVID-19-Pandemie erreicht mittlerweile das dritte Jahr, hinzu kam dieses Jahr der Krieg gegen die Ukraine, welcher Nahrungsmittel-, Energie und humanitäre Krisen verschärft. Und das alles geschiet vor dem Hintergrund der Klimakrise sowie steigender Armut und Ungleichheiten. Um noch verheerendere Auswirkungen der Klimakrise zu vermeiden, ist es wesentlich, das die weltweiten Treibhausemissionen – wie im Pariser Klimaabkommen festgehalten – bis 2030 um 43% zurückgehen und bis 2050 auf netto null sinken. Tatsächlich drohen die weltweiten Treibhausgasemissionen aufgrund schwacher nationaler Klimaschutzmaßnahmen, zu denen sie sich Staaten freiwillig verpflichtet haben, bis 2030 um fast 14% anzusteigen. Entwicklungen und Tendenzen der einzelnen Ziele: Ziel 1: Keine Armut Vor der Pandemie waren die Armutsschätzungen sehr viel niedriger angesetzt als die jetzigen Schätzungen © United Nations 2022 Die COVID-19-Pandemie hat die stetigen Fortschritte bei der Armutsbekämpfung der letzten 25 Jahre zunichtegemacht. Durch die Pandemie ist die Zahl der Menschen in extremer Armut erstmals seit einer Generation wieder angestiegen. Die Inflation und die Auswirkungen des Krieges gegen die Ukraine haben unter anderem steigende Lebensmittelpreise zur Folge und verschlimmern dadurch den Trend zusätzlich. Der Bericht hält fest, dass die Zahl extrem armer Menschen aufgrund multipler Krisen auf über 650 Millionen Menschen gestiegen ist. Auch die Erwerbsarmutsquote ist weiter angestiegen. Die Zahl derjenigen, die in Armut leben, obwohl sie in einem Arbeitsverhältnis sind, ist auf acht Millionen Menschen gestiegen. Die beiden Regionen mit den höchsten Erwerbsarmutsquoten (Subsahara-Afrika und Ozeanien (ohne Australien und Neuseeland)) haben in den letzten zwei Jahren den stärksten Anstieg verzeichnet. Ziel 2: Kein Hunger Aktuelle multiple Krisen, die von Konflikten und Kriegen über COVID-19-Pandemie und Klimakrise bis hin zu steigender Armut und Ungleichheiten reichen, untergraben die Ernährungssicherheit weltweit: So leidet aktuell einer von zehn Menschen an Hunger. Der besorgniserregendste Anstieg ist auch hier in Subsahara-Afrika zu beobachten, gefolgt von Zentral- und Südasien sowie Lateinamerika und der Karibik. 149,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren leiden an Mangelernährung. Um die Unterentwicklung bei Kindern bis 2030 um 50% zu reduzieren, müsste sich die jährliche Rückgangsrate verdoppeln (von 2,1 auf 3,9% pro Jahr). Der Krieg gegen die Ukraine und die damit zusammenhängenden Krisen führen zu Nahrungsmittelengpässen für die ärmsten Menschen der Welt, denn die Ukraine und Russland sind große Exporteure wichtiger Nahrungs- und Düngemittel, Mineralien und Energie. Zusammen gelten sie als Kornkammern der Welt, vor dem Krieg produzierten sie 30% des Weizens, 20% des Mais sowie 80% des Sonnenblumensaatgutes auf der Welt. Ziel 3: Gesundheit und Wohlergehen Die COVID-19-Pandemie bedroht weiterhin jahrzehntelange Fortschritte der globalen Gesundheit. Bis Mitte 2020 waren weltweit bereits mehr als 500 Millionen Menschen mit dem Virus infiziert und 15 Millionen Menschen starben bis Ende 2021. Es starben allein 115.500 Angestellte im Gesundheitswesen. Die Pandemie hat dazu geführt, dass wichtige Gesundheitsdienste weltweit unterbrochen (in 92% der Länder) und Fortschritte bei der Bekämpfung gegen HIV, Tuberkulose und Malaria zunichte gemacht wurden. Zum ersten Mal seit 2005 ist die Zahl der Tuberkulose-Todesfälle wieder gestiegen (von 1,2 Millionen im Jahr 2019 auf 1,3 Millionen im Folgejahr). Eine Folge der Pandemie ist auch die steigende Zahl von Menschen, die an Angstzuständen sowie Depressionen erkrankten. Die weltweite Lebenserwartung ist insgesamt gesunken. Ziel 4: Hochwertige Bildung Die COVID-19-Pandemie hat die globale Bildungsungleichheit weiter verschärft: 147 Millionen Kinder verpassten zwischen 2020 und 2021 mehr als die Hälfte ihres Unterrichts. 24 Millionen Lernende (von der Vorschule bis zur Universität) werden möglicherweise nie wieder zur Schule gehen. Tief verwurzelte Ungleichheiten im Bildungswesen haben sich während der Pandemie noch verschlimmert und längere Schulschließungen haben das Risiko erhöht, dass 24 Millionen Lernende (von der Vorschule bis zur Universität) nicht mehr in ihre Bildungseinrichtung zurückkehren. Die psychosoziale Unterstützung für Schüler*innen wird häufig komplett vernachlässigt. Ziel 5: Geschlechtergerechtigkeit Anteil von Frauen in Führungspositionen in verschiedenen Weltregionen im Jahr 2015 und 2020 © United Nations 2022 Gewalt gegen Frauen und Mädchen gibt es in jedem Land der Welt und trifft diese in allen Altersstufen: Weltweit ist mehr als jede vierte Frau (das sind 641 Millionen) mindestens einmal in ihrem Leben Opfer von Gewalt in der Partnerschaft geworden. Es gibt keine Daten über nicht-binäre, queere Geschlechtsidentitäten. Frauen sind immer noch selten in Führungspositionen vertreten, sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich. Anfang 2022 liegt bspw. der Anteil von Frauen in nationalen Parlamenten bei 26,2% gegenüber 22,4% im Jahr 2015. Bei diesem Tempo dauert es weitere 40 Jahre, bis Frauen und Männer in nationalen Parlamenten gleich stark vertreten sind. In vielen Ländern der Welt können Frauen immer noch nicht über ihren eigenen Körper entscheiden. Lediglich 57% der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren können selbstbestimmte Entscheidungen im Bezug auf sexuelle Beziehungen, Verwendung von Verhütungsmitteln und reproduktive Gesundheit treffen. Generell ist zu beobachten, dass die Welt nicht auf dem Weg ist, die Gleichstellung der Geschlechter bis 2030 zu erreichen. Die sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie haben die Situation noch weiter verschlechtert. Ziel 6: Sauberes Wasser und Sanitäranlagen Gewässerbezogene Ökosysteme werden weiterhin in einem alarmierenden Tempo geschädigt. In den letzten 300 Jahren sind über 85% der weltweiten Feuchtgebiete verloren gegangen. Über 733 Millionen Menschen, das sind 10% der Weltbevölkerung, leben in Ländern mit hohen oder kritischem Wasserstress. Wasserstress ist eine Messgröße für Wasserknappheit und erfasst in welchem Ausmaß ein Land seine jährlich verfügbaren und erneuerbaren Wasservorkommen nutzt. Tendenziell gilt, dass Konflikte und Umweltschäden umso wahrscheinlicher auftreten, je höher der Anteil des genutzten Wasservorkommens ist. Ziel 7: Bezahlbare und saubere Energie Die bisherigen, schnellen Fortschritte bei der Elektrifizierung verlangsamen sich, weil es immer schwieriger wird, abgelegene Gebiete zu erreichen. Um globale Klimaziele zu erreichen, müssen die Fortschritte bei der Energieeffizienz beschleunigt werden. Internationale Finanzströme in Länder mit niedrigem Einkommen für erneuerbare Energien sind das zweite Jahr in Folge zurückgegangen. Ziel 8: Menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum Die Erholung der Weltwirtschaft wird durch multiple Krisen behindert, etwa durch den Krieg in der Ukraine, neue Wellen der COVID-19-Pandemie, steigende Inflation, unterbrochene Versorgungsketten, politische Unsicherheiten und Herausforderungen auf Arbeitsmärkten. Eines von zehn Kindern ist weltweit von Kinderarbeit betroffen; das entspricht 60 Millionen Kindern insgesamt (Stand: 2020). Kinderarbeit verstößt gegen Menschenrechte und ist darüber hinaus gesundheits- und sicherheitsgefährend. Zusätzliche wirtschaftliche Schocks und Schulschließungen wegen der COVID-19-Pandemie hatten noch längere Arbeitszeiten und schlechtere Arbeitsbedingungen zur Folge. Schätzungen zufolge könnten bis Ende 2022 weitere 9 Millionen Kinder in Kinderarbeit gedrängt werden. Ziel 9: Industrie, Innovation und Infrastruktur Die COVID-19-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig technologische Innovation und widerstandsfähige Infrastruktur für den Wiederaufbau und die Verwirklichung der SDGs sind. Volkswirtschaften mit einem diversifizierten Industriesektor und einer starken Infrastruktur (z.B. Verkehr, Internetanbindung und Versorgungsdienste) erlitten weniger Schäden und erholen sich schneller. In den ärmsten Ländern der Welt (Least Developed Countries, LDC) verlief die Erholung schleppender. Industrien mit höherem Technologieniveau sind in Krisen weitaus widerstandsfähiger als ihre Pendants mit geringerem Technologieniveau. Industriezweige wie die Textil- oder Bekleidungs- oder die Kohleindustrie sind bislang unter dem Niveau vor der Pandemie zurück geblieben. Ziel 10: Weniger Ungleichheiten Einkommensungleichheiten sind aufgrund der Pandemie erstmals seit einer Generation länderübergreifend wieder angestiegen. Für Menschen auf der Flucht war das Jahr 2021 das tödlichste Jahr seit 2017: Mindestens 5.895 Menschen verloren 2021 ihr Leben auf der Flucht. Nicht nur der Krieg in der Ukraine trägt zur bereits hohen Zahl Schutzsuchender bei: Auch die Auswirkungen der Pandemie zwangen viele Menschen dazu, auf der Suche nach Sicherheit oder menschenwürdiger Arbeit ihre Heimat zu verlassen. Diskriminierung ist nach wie vor ein globales Problem: In etwa jeder fünfte Mensch erlebt Diskriminierung, das zeigen Daten aus 49 Ländern. In den Ländern, in denen entsprechende Daten verfügbar sind, erleben Frauen doppelt so häufig Diskriminierung wie Männer. Ein Drittel aller Menschen mit Behinderungen berichten, dass sie Diskriminierung erfahren haben. „We must rise higher to rescue the Sustainable Development Goals – and stay true to our promise of a world of peace, dignity and prosperity on a healthy planet.“ António Guterres, Secretary-General of the United Nations Ziel 11: nachhaltige Städte und Gemeinden Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute in Städten. Bis 2050 werden schätzungsweise sieben von zehn Menschen in städtischen Gebieten leben. Während Städte einerseits Motoren des Wirtschaftswachstums sind und zu 80% des globalen BIP beitragen, sind sie gleichzeitig auch für mehr als 70% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Mittlerweile leben eine Milliarde Menschen auf der Welt in sogenannten „Slums“, also in überfüllten, ärmlichen oder informellen Unterkünften ohne angemessenem Zugang zu Trinkwasser, sanitären Einrichtungen sowie Verfügungsgewalt über Grund und Boden. Die Region mit dem höchsten Prozentsatz an Slumbewohner*innen ist Subsahara-Afrika, hier leben mehr als die Hälfte der Stadtbevölkerung in Slums. Um das der Agenda zugrundeliegende Prinzip Leave no one behind zu erreichen, muss der Fokus verstärkt auf Slumbewohner*innen gelenkt werden. Ziel 12: Verantwortungsvolle Konsum und Produktionsmuster Anteile der Lebensmittelverluste nach Regionen © United Nations 2022 Nicht-nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sind auch eine der Hauptursachen multipler Krisen. Die Klimakrise, der Verlust der Biodiversität sowie Umweltverschmutzung bedrohen das menschliche Wohlergehen und das Erreichen der SDGs. Wenn der vorherrschende, nicht nachhaltige Entwicklungspfad beibehalten wird, wird die Kapazität der Erde nicht ausreichen, um die Lebensgrundlagen heutiger und künftiger Generationen zu sichern. Beispielsweise gehen weltweit zu viele Lebensmittel verloren oder werden verschwendet. Lebensmittelverschwendung hat erhebliche ökologische, soziale und wirtschaftliche Folgen. Weggeschmissene Lebensmittel verursachen 8 – 10% der weltweiten Treibhausgasemissionen. In den Ländern Subsahara-Afrikas ist die Ernährungsunsicherheit am größten, aber gleichzeitig auch der Anteil der Lebensmittelverschwendung. Ziel 13: Maßnahmen zum Klimaschutz Der Bericht verdeutlicht, dass die Erde am Rande einer Klimakatastrophe steht und die Zeitfenster, um sie abzuwenden, sich immer schneller schließen. Der globale Temperaturanstieg hält unvermindert an und führt zu immer mehr Wetterextremen. Zunehmende Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen beeinträchtigen Menschen auf der ganzen Welt und verursachen potenziell irreversible Veränderungen in globalen Ökosystemen. © United Nations 2022 Die energiebedingten CO2-Emissionen stiegen 2021 um 6% und damit auf den höchsten Stand aller Zeiten. Die Klimafinanzierung bleibt hinter den zugesagten 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zurück. Im Jahr 2019 stellten die Industrieländer stattdessen lediglich 79,6 Milliarden US-Dollar für die Klimafinanzierung für Länder des Globalen Südens zur Verfügung. „The scientific evidence is unequivocal: climate change is a threat to human well-being and the health of the planet. Any further delay in concerted global action will miss a brief and rapidly closing window to secure a livable future.“ IPCC-Report 2022 (Intergovernmental Panel on Climate Change) Ziel 14: Leben unter Wasser Das größte Ökosystem der Erde, der Ozean, ist stark gefährdet. Die zunehmende Versauerung bedroht das Leben im Meer und schränkt die Fähigkeit des Ozeans ein, die Klimakrise abzumildern. Der Ozean absorbiert etwa ein Viertel der weltweiten jährlichen CO₂-Emissionen. Plastikverschmutzung ist ein globales Problem: mehr als 17 Millionen Tonnen Plastik gelangten 2021 ins Meer. Prognosen zufolge wird sich die Menge bis 2040 verdoppeln oder verdreifachen, wenn keine Maßnahmen dagegen unternommen werden. Ziel 15: Leben an Land Gesunde Ökosysteme und die von ihnen getragene biologische Vielfalt sind eine Quelle für Nahrung, Wasser, Medizin, Unterkunft und andere materielle Güter. Menschliche Aktivitäten haben jedoch tiefgreifende Folgen: So werden jedes Jahr 10 Millionen Hektar Wald zerstört, das ist eine Fläche so groß wie Island. Fast 90% der weltweiten Entwaldung ist auf die Ausweitung der Landwirtschaft zurückzuführen. Weiterhin sind rund 40.000 Arten nachweislich in den nächsten Jahrzehnten vom Aussterben bedroht. Ziel 16: Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen Seit 1946 erlebt die Welt die größte Anzahl an gewaltsamen Konflikten. Damit lebt ein Viertel der Weltbevölkerung in konfliktbetroffenen Regionen. Im Mai 2022 galten 100 Millionen Menschen weltweit als gewaltsam vertrieben. Bewaffnete Konflikte zu beenden, Institutionen zu stärken und Menschenrechte einzuhalten sind notwendige Voraussetzungen für eine nachhaltige Entwicklung. Ziel 17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele Die Zusammensetzung der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen (ODA) zwischen 2015 – 2021 © United Nations 2022 Die öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen haben im letzten Jahr einen neuen Höchststand erreicht. Dies ist vor allem auf COVID-19 bezogene Hilfe zurückzuführen. Die vorläufigen Zahlen des Jahres 2021 lauten: Die öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen (Official Development Aid, ODA) der OECD-Staaten erreichten 2021 mit voraussichtlich 177,6 Milliarden US-Dollar einen neuen Netto-Höchststand; im Vergleich zum Vorjahr stiegen sie um 3,3% an. Diese Summe entspricht 0,33% des Bruttonationaleinkommens (BNE) der Geberländer und erreicht das international vereinbarte Ziel von 0,7% des BNE noch nicht einmal zur Hälfte. Rücküberweisungen (Remittances) betrugen 605 Milliarden US-Dollar, ein Plus von 8,6 % gegenüber 2020. Viele Länder des Globalen Südens erholen sich nur mit viel Mühe von der Pandemie. Sie haben mit Inflation, hohen Zinssätzen und einer steigenden Schuldenlast zu kämpfen. Empfehlungen der Vereinten Nationen Bewaffnete Konflikte müssen ein Ende nehmen. Denn dies ist eine Vorbedingung für nachhaltige Entwicklung. Denn Krieg bedeutet auch immer Verlust von Leben und Ressourcen. Es müssen kohlenstoffarme, widerstandsfähige und integrative Entwicklungspfade eingeschlagen werden. Umgestaltung der internationalen Finanz- und Schuldenarchitektur ist erforderlich, um die Ziele zu erreichen. Download United Nations Department of Economic and Social Affairs and Social Inclusion (2022): The Sustainable Development Goals Report 2022 (pk)
„It has never been more expensive to be poor“: Oxfam schätzt, dass 2022 zusätzlich eine Viertelmilliarde Menschen in extreme Armut rutschen Posted on 5. Oktober 2022 - 16:08 by Paula Kunzemann Die wichtigsten Erkenntnisse auf einen Blick Die COVID-19-Pandemie hat jahrzehntelange Fortschritte in der weltweiten Bekämpfung extremer Armut zunichtegemacht Oxfam schätzt, dass im Jahr 2022 zusätzlich eine Viertelmilliarde Menschen (263 Mio.) in extreme Armut rutschen werden, womit die Gesamtzahl auf 860 Mio. Menschen steigen würde. An Anteilen ihres Einkommens gemessen geben Menschen in einkommensschwachen Ländern doppelt so viel für Lebensmittel aus wie Menschen in reicheren Ländern. Gleichzeitig hat die Pandemie mehr als 573 neue Milliardär*innen geschaffen: Während alle 30 Stunden eine Million Menschen in extreme Armut rutschen, kommt ein neuer Milliardär hinzu. In den ersten 24 Monaten der Pandemie ist das Vermögen von Milliardär*innen stärker gestiegen als in den letzten 23 Jahren zusammen. Entsprach das Gesamtvermögen aller Milliardär*innen 2000 noch 4,4% des globalen BIP, hat es sich mittlerweile auf 13,9% im Jahr 2022 verdreifacht. Die zehn reichsten Männer der Welt besitzen mehr Vermögen als die ärmsten 40%, also 3,1 Mrd. Menschen, zusammen. Das Vermögen der reichsten 20 Milliardäre der Welt (19 Männer und eine Frau) ist höher als das BIP aller Länder Subsahara-Afrikas zusammengerechnet. Um das Gleiche wie eine Person der reichsten 1% in einem einzigen Jahr zu verdienen, müsste eine der ärmsten 50% 112 Jahre lang arbeiten. Oxfam fordert die Einführung von verschiedenen Vermögenssteuern. © Oxfam 2022 Für den Großteil der Menschheit hat die COVID-19-Pandemie negative Auswirkungen. Sie bedeutet Leid, Unsicherheit und höhere Kosten durch die Inflation. Doch für Milliardär*innen dieser Welt ist momentan eine extrem profitable Zeit. Die diesjährige Untersuchung von Oxfam zeigt, wie Unternehmen der Energie-, Lebensmittel- und Pharmabranche, in denen Monopole besonders verbreitet sind, seit Beginn der Pandemie extrem hohe Gewinne verbuchen. Der Reichtum der Milliardär*innen, die hinter diesen Unternehmen stehen, ist seither sprunghaft angestiegen. Die Zentralbanken pumpten mehrere Milliarden US-Dollar in Volkswirtschaften, um einen Wirtschaftszusammenbruch zu verhindern. Ein Nebenprodukt dieser finanziellen Unterstützung ist ein Vermögensanstieg von Superreichen. Denn die Geldpolitik trieb die Vermögenswerte in die Höhe und somit auch das Nettovermögen von Milliardär*innen. So gibt es nach zwei Jahren Pandemie 573 neue Milliardär*innen, alle 30 Stunden überschreitet eine*r die Vermögensgrenze von einer Milliarde US-Dollar. Gleichzeitig rutschen für jede*n zusätzliche*n Milliardär*in ca. 1 Mio. Menschen in Armut ab. Das Gesamtvermögen der Milliardär*innen beläuft sich inzwischen auf 12,7 Billionen US-Dollar (= 12700 Milliarden), was 13,9% des weltweiten BIP entspricht – eine Verdreifachung gegenüber dem Jahr 2000, als der Anteil bei 4,4% lag. Während Lebensmittel weltweit immer teurer werden (im Jahr 2021 um über 30%), steigt das durchschnittliche Einkommen nicht ausreichend an. Durch die hohe Inflation sinkt der Reallohn sogar teilweise. So stürzen die aktuellen Lebenshaltungskosten Hunderte Millionen Menschen in extreme Armut. Oxfam schätzt, dass im Jahr 2022 zusätzlich 263 Mio. Menschen in extreme Armut gedrängt werden könnten. Grund dafür ist weiterhin die COVID-19-Pandemie, aber auch damit zusammenhängende globale Ungleichheiten sowie steigende Lebensmittel- und der Energiepreise, die durch den Krieg gegen die Ukraine zusätzlich steigen. Anteil des Einkommens, der für Lebensmittel ausgegeben wird in USA, Mosambik undPeru © Oxfam 2022 Menschen in einkommensschwachen Ländern geben seit der Pandemie mehr als doppelt so viel ihres Einkommens für Lebensmittel aus wie Menschen in reicheren Ländern. Steigende Preise treffen arme Menschen finanziell also weitaus härter als reiche Menschen. Während Menschen in vielen Ländern des Globalen Nordens ca. 17% ihres Geldes für Lebensmittel ausgeben, sind es bspw. in Ländern südlich der Sahara 40%. Das Balkendiagramm bestätigt, dass auch Menschen innerhalb eines Landes unterschiedlich hohe Anteile ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. “It has never been more expensive to be poor”, resümiert Oxfam. Eine Folge von weltweit rekordhohen Lebensmittelpreisen seien unter anderem zunehmend soziale und politische Unruhen. Die UNO schätzt, dass mehr als 193 Mio. Menschen in 53 Ländern unter akutem Hunger leiden. Allein in Ostafrika seien bspw. 28 Mio. Menschen von Hunger bedroht. Grund dafür seien unter anderem die Folgen der Klimakrise, denn verlängerte Dürreperioden würden zu Hungersnöten und humanitären Krisen führen. Ein weiterer Vergleich zeigt, dass das Vermögen der reichsten 20 Milliardäre größer ist als das gesamte BIP afrikanischer Länder südlich der Sahara. Die Pandemie der Ungleichheit Seit Pandemiebeginn sind Ungleichheiten sprunghaft angestiegen, etwa in Bezug auf Vermögen, Einkommen, Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheitsversorgung, aufgrund von Rassismus, aber auch Ungleichheiten zwischen Ländern. Einige Beispiele: Vermögensungleichheit Es gibt mittlerweile 2.668 Milliardäre auf der Welt (Stand: April 2022), das sind 573 mehr als noch im Jahr 2020. Die reichsten 10 Männer auf der Welt verfügen über mehr Vermögen als die ärmsten 40% zusammen. Elon Musk, der aktuell reichste unter ihnen, könnte theoretisch 99% seines Vermögens verlieren und würde trotzdem noch zu den Top 0,0001% der reichsten Menschen gehören. Sein Vermögen ist seit 2019 um 699% auf mehr als 219 Mrd. US-Dollar gestiegen. Einkommensungleichheit Wie bereits erwähnt, hat die Pandemie Einkommensungleichheiten massiv vergrößert. Das Einkommen von 99% der Menschheit ist aufgrund von COVID-19 gesunken. Im Jahr 2021 verzeichneten die ärmsten 40% den stärksten Einkommensrückgang. Geschlechterungerechtigkeit Auch die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist durch COVID-19 größer geworden. Lautete die Prognose vor der Pandemie noch, dass es rund 100 Jahre dauern würde, bis sich das Lohngefälle schließt, sind es mittlerweile 136 Jahre. Weil Schließungen und Social Distancing vor allem jene Gewerbe betrafen, die stark weiblich geprägt sind (etwa Pflege, Gastgewerbe oder der Dienstleistungssektor), wurden seit 2020 Frauen unverhältnismäßig öfter aus ihrer Beschäftigung gedrängt. Ungleichheit aufgrund von Rassismus Überall auf der Welt trifft die Pandemie rassifizierte Personengruppen am stärksten. So sind beispielsweise Schwarze Menschen in den USA ihren Auswirkungen unverhältnismäßig stark ausgesetzt. Gesundheitsversorgung Gute Gesundheitsversorgung ist eigentlich ein Menschenrecht, jedoch können sich Menschen mit mehr Geld Zugang zu (besserer) medizinischer Versorgung leisten und führen statistisch betrachtet ein längeres und gesünderes Leben. Als COVID-19 ausbrach, hatten 52% der Afrikaner*innen keinen Zugang zu Gesundheitsversorgung. 83% hatten kein Sicherheitsnetz, auf das sie zurückgreifen konnten, als sie ihren Arbeitsplatz verloren oder krank wurden. Infolge der Pandemie sind in ärmeren Ländern viermal mehr Menschen gestorben als in reichen Ländern. Ungleichheit zwischen Ländern Vor der Pandemie hat sich die Ungleichheit zwischen reichen und ärmeren Ländern drei Jahrzehnte lang angeglichen. Die Pandemie hat diesen Trend nun vollständig umgedreht. Besonders besorgniserregend ist die enorme Schuldenlast, mit der viele Länder jetzt konfrontiert sind. Diese untergräbt jede Hoffnung auf einen Aufschwung und hindert sie daran, ihre Bevölkerung vor den steigenden Preisen zu schützen. Der Schuldendienst führt zu dramatischen Kürzungen und Einschnitten bei öffentlichen Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung. 60% der Länder mit niedrigem Einkommen stehen heute am Rande der Schuldenkrise. „Billionaires’ fortunes have not increased because they are now smarter or working harder. Workers are working harder, for less pay and in worse conditions. The super-rich have rigged the system with impunity for decades and they are now reaping the benefits. They have seized a shocking amount of the world’s wealth as a result of privatization and monopolies, gutting regulation and workers’ rights while stashing their cash in tax havens — all with the complicity of governments,” Gabriela Bucher, Executive Director of Oxfam International Welche Branchen profitieren am meisten von der Pandemie? Während es Milliarden Krisenverlierer*innen gibt, gibt es einige Branchen, die besonders stark von der Pandemie und der instabilen Lage profitieren. So sind es vor allem die Lebensmittelbranche, Gas- und Ölunternehmen, die Pharmaindustrie sowie der Technologiesektor, die ihre Gewinne vervielfachen konnten. Oxfam empfiehlt drei Steuern einzuführen: Nach Einschätzung der Oxfam-Autor*innen ist es für Länder des Globalen Südens vollkommen unmöglich, eigenständig die Rezession aufzuhalten und ihre Wirtschaft zu stärken. Daher fordern die Autor*innen fünf tiefgreifende Maßnahmen, um Ländern, die von extremer Armut bedroht sind, zu helfen: Einführung einer befristeten Steuer auf Krisengewinne der größten Konzerne, um zu verhindern, dass Unternehmen von Krisen profitieren können. Oxfam schätzt, dass eine solche Steuer, die derzeit nur 32 multinationale Unternehmen beträfe, Einnahmen von rund 104 Mrd. US-Dollar generieren könnte. Einführung einer einmaligen Solidaritätssteuer auf pandemische Gewinne von Milliardär*innen, um die Unterstützung von Menschen zu finanzieren, die mit steigenden Lebensmittel- und Energiekosten konfrontiert sind. Beispielsweise hat Argentinien eine einmalige Sonderabgabe eingeführt. Einführung einer permanenten Vermögenssteuer, um extremen Reichtum, Monopolmacht sowie den übermäßigen Kohlenstoffemissionen der Superreichen einzudämmen. Eine jährliche Vermögenssteuer für Millionäre, die bei 2% beginnt, und bei 5% für Milliardäre endet, könnte 2,52 Billionen US-Dollar pro Jahr einbringen. Das wäre genug, um 2,3 Mrd. Menschen einen Weg aus der Armut zu ermöglichen, genügend Impfstoffe für die ganze Welt herzustellen und eine universelle Gesundheitsversorgung sowie sozialen Schutz für alle Menschen in Ländern niedrigen Einkommens (3,6 Mrd. Menschen) zu gewährleisten. Links Oxfam (2022): Profiting from pain. The urgency of taxing the rich amid a surge in billionaire wealth and a global cost-of-living crisis Oxfam (2022): Methodology Note (pk)
DAC CSO Reference Group veröffentlicht Empfehlungen für Privatsektorinstrumente & Sonderziehungsrechte Posted on 28. September 2022 - 15:09 by Paula Kunzemann Globale Verantwortung In der Sitzung des Development Assistance Committee (DAC), die vom 28. – 30. September stattfindet, wird über die Anrechenbarkeit von Sondererziehungsrechten für öffentliche Entwicklungsleistungen diskutiert. Die Unterzeichner*innen des Briefs sind besorgt über die Qualität und die Integrität der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen, die zunehmend den privaten Sektor unterstützten. Dies kann beispielsweise dazu führen, dass die Kernaufgabe der Entwicklungshilfeleistungen, die Beseitigung von Armut und Verringerung von Ungleichheiten, in Frage gestellt wird. Auch kann es zu einer Privatisierung oder Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, der Bildung und der Wasserversorgung kommen, was negative Folgen hinsichtlich des öffentlichen Zugangs zu universellen Gütern bedeutet. Link Joint recommendations of the DAC CSO Reference Group (28.09.2022): Towards increased quality and integrity of ODA in the context of Private Sector Instruments and Special Drawing Rights
Sustainable Development Report 2022 Posted on 14. September 2022 - 14:34 by Paula Kunzemann Zentrale Ergebnisse des SDG-Reports: Zum zweiten Mal in Folge konnten keine Fortschritte bei den SDGs erreicht werden: Der Weltdurchschnitt des SDG-Index ist wieder leicht gesunken. Österreich ist im SDG-Ranking auf Platz 5 mit einem Score von 82,3 (von 100) und liegt damit hinter Finnland, Dänemark, Schweden und Norwegen. Im letzten Jahr (2021) war Österreich auf Platz 6 mit einem Score von 82,1. Spillover-Score: Hier liegt Österreich mit einem Score von 59,40 auf Platz 151 von 163 und ist belegt damit einen der letzten Plätze. Im letzten Jahr war Österreich mit einem Score von 59,5 noch weiter hinten, auf Platz 154. Handlungsempfehlungen: Es braucht dringend verpflichtende, gemeinsame globale Anstrengungen und Zusammenarbeit hinsichtlich der Finanzierung der Ziele. Der Bericht schlägt einen Plan für die Finanzierung vor, welcher die Schlüsselrolle der G20-Staaten, des Internationalen Währungsfonds und der multinationalen Entwicklungsbanken unterstreicht. Abbildung 1: Der SDG-Index-Score im Zeitverlauf. Zum zweiten Mal in Folge stagniert der Fortschritt bei der Umsetzung der SDGs. © Sustainable Development Report 2022 Der seit 2015 veröffentlichte SDG-Report liefert aktuelle Daten, um die Fortschritte aller UN-Mitgliedsstaaten zu verfolgen und zu bewerten. Der Bericht wird von unabhängigen Expert*innen des Netzwerkes Sustainable Development Solution Network (SDSN) verfasst, von der Cambridge University Press veröffentlicht und von der Bertelsmann Stiftung mitfinanziert. Die derzeit gleichzeitig auftretenden, sich gegenseitig verstärkenden multiplen Krisen – etwa Konflikte und Kriege, Klimakrise, Gesundheitskrisen wie die COVID-19-Pandemie sowie steigende Armut sind ein großer Rückschlag für die nachhaltige Entwicklung weltweit. Dass der Weltdurchschnitt des SDG-Index das zweite Jahr in Folge leicht gesunken ist, ist vor allem auf die Auswirkungen der Pandemie auf SDG 1 (keine Armut), auf SDG 8 (menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum) sowie auf die mangelhaften Ergebnisse bei SDG 11 bis 15 (Nachhaltige Städte und Gemeinden, nachhaltige/r Konsum und Produktion, Maßnahmen zum Klimaschutz, Leben unter Wasser, Leben an Land) zurückzuführen. Neben den massiven humanitären Kosten haben militärische Konflikte – wie der Krieg gegen die Ukraine – erhebliche internationale Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit und die Energiepreise, die durch die Klima- und Biodiversitätskrisen noch verstärkt werden. Außerdem erschweren multiple Krisen langfristiges Planen und nachhaltige Investitionen. Daher ist eine intensive internationale Zusammenarbeit gefragt, um die SDGs noch erreichen zu können. Österreichs Abschneiden Österreich ist im Ländervergleich mit 82,3 von 100 Punkten auf Platz 5. Im vergangenen Jahr erreichte Österreich 82,1 Punkte und war damit auf Platz 6. Der Score hat sich also nur minimal verbessert. Insgesamt schneidet Österreich bei der Erreichung folgender SDGs schlecht ab: Abbildung 2: Österreichs Abschneiden © Sustainable Development Report 2022 SDG 12: Verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster SDG 13: Maßnahmen zum Klimaschutz SDG 17: Partnerschaften zur Erreichung der Ziele Vor allem der Befund, dass Österreich bei Ziel 17 schlecht abschneidet, ist auffällig. Die AG Globale Verantwortung fordert schon lange von der Bundesregierung, das international vereinbarte Ziel, 0,7% des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungshilfeleistungen zur Verfügung zu stellen, einzuhalten. Denn Österreich hat im Jahr 2021 gerade einmal 0,31% aufgewendet. Das ist im Vergleich mit anderen Ländern in der EU sehr gering. Um die Entwicklungsziele zu erreichen, ist es unabdingbar, dass Österreich seine Finanzmittel erhöht und globale Partnerschaften stärkt. Zum zweiten Mal dabei: der Spillover-Index Zum zweiten Mal wurde neben dem SDG-Ranking der Spillover-Index gemessen. Dieser zeigt, wie reiche Länder negative sozioökonomische und ökologische Spillover-Effekte verursachen, die wiederum die Fähigkeit anderer Länder, die SDGs zu erreichen, untergraben. Spillover-Effekte entstehen vor allem durch übermäßigen Konsum im Globalen Norden sowie ausbeuterische Produktionsmuster und nicht-nachhaltige Handels- und Lieferketten. Tendenziell haben Länder mit einem höheren Einkommen die größten negativen Spillover-Effekte. Das heißt, sie behindern andere Länder bei der Erreichung der SDGs. Sustainable Development Report 2022 Die folgenden vier Kategorien von Spillover-Effekten erschweren das Erreichen der SDGs, wie in den Klammern ausgeführt, auf unterschiedliche Weise: Ökologische und soziale Spillover-Effekte aufgrund globaler Handelsströme (z.B.: umweltschädliche Produktion durch hohe Konsumnachfrage) Direkte grenzüberschreitende physische Ströme (z.B.: Luft- und Wasserverschmutzung über Landesgrenzen hinweg) Internationale Wirtschafts- und Finanzströme (z.B.: unfairer Steuerwettbewerb, Korruption) Friedenserhalt und Sicherheit (z.B.: Ausfuhr von Waffen und organisierte Kriminalität) Abbildung 3: Der SDG-Index im Vergleich zum Spillover-Index: Während die Europäische Union und die OECD -Staaten relativ gut bei der Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele abschneiden, behindern sie gleichzeitig andere Staaten bei der Erreichung dieser. © Sustainable Development Report 2022 Je höher die Punktezahl beim Spillover-Score ist, desto größer sind die negativen Auswirkungen auf andere Länder. So belegt beispielsweise Somalia mit einem Score von 99,97 den ersten Platz (nahezu keine Auswirkungen) und Singapur mit einem Score von 33,03 den letzten Platz (sehr hohe Auswirkungen auf andere Länder). Zu beachten ist jedoch, dass es bei einigen Ländern Ozeaniens oder Afrikas keine Daten gibt. Auf EU-Ebene werden derzeit verschiedene Instrumente und Rechtsvorschriften erörtert, um internationale Spillover-Effekte im Zusammenhang mit dem europäischen Green New Deal anzugehen. Schweden hat als erstes Land seine Absicht, ein nationales Ziel zur Senkung der importierten CO2-Emissionen festzulegen, bekanntgegeben. Es gibt dazu vier Vorschläge, wie negative Spillover-Effekte eingedämmt werden können: Aufstockung der Gelder für Entwicklung und Klimafinanzierung Technische Zusammenarbeit und Diplomatie, um Ziele voranzutreiben Verabschiedung nationaler Ziele und Instrumente, um negativen Spillover-Effekten direkt entgegenzuwirken oder sie zu verhindern Rechenschaftspflicht, Daten und Statistiken zu stärken Österreich im Spillover-Ranking Während Österreichs SDG-Index vergleichsweise gut ist, schneidet Österreich im Spillover-Ranking sehr schlecht ab: Mit einem Wert von 59,40 (von 100) liegt Österreich auf Platz 151 von 163 und befindet sich somit auf den letzten Rängen. Im Vergleich zum vergangenen Jahr konnte sich Österreich lediglich minimal verbessern (Platz 154 mit einem Score von 59,5). Zurückzuführen ist das schlechte Abschneiden unter anderem auf einen übermäßigen, nicht-nachhaltigen Lebensstil und Konsumverhalten und den zugrundeliegenden Produktionsmustern. Die daraus folgenden sozialen und ökologischen Kosten werden oftmals in Ländern des Globalen Südens ausgelagert. Einige Beispiele, die zum Spillover-Score von Österreich beitragen, sind unter anderem: Im Bereich ökologischer und sozialer Auswirkungen des Handels Export von Plastikmüll Stickstoffemissionen, die in Importen enthalten sind Bedrohung der biologischen Vielfalt an Land und im Süßwasser durch Importe Im Bereich Wirtschaft und Finanzen Zu niedrige öffentliche Entwicklungshilfeleistungen Negative Auswirkungen aufgrund des Finanz- und Bankengeheimnisses Halbzeit der Agenda 2030 Seit der Verabschiedung der Agenda 2030 im Jahr 2015 sind bereits 7 Jahre vergangen. Bis 2030 sollen die Ziele erreicht werden, das bedeutet, es sind nur noch 8 Jahre Zeit. Zur Halbzeit der Agenda 2030 gibt es große Unterschiede in den politischen Bemühungen und Verpflichtungen für die SDGs. Unter den G20-Mitgliedsstaaten zeigen die Vereinigten Staaten, Brasilien und die Russische Föderation die geringste Unterstützung für die Agenda 2030 und die SDGs. Im Gegensatz dazu zeigen die nordischen Länder vergleichsweise hohe Anstrengungen für die SDGs, ebenso wie Argentinien, Deutschland, Japan und Mexiko. Handlungsempfehlungen Der Bericht empfiehlt folgendes: Die Fortschritte bei den SDGs müssen wieder hergestellt und beschleunigt werden, die Pandemie muss beendet werden und ein Ende des Krieges gegen die Ukraine, sowie andere, in Vergessenheit geratene Kriege und Konflikte müssen ausgehandelt werden. Für all diese Herausforderungen ist ein globaler Plan zur Finanzierung unabdingbar. Der vorgeschlagene 5-Punkte-Plan unterstreicht die Schlüsselrolle der G20-Staaten, des Internationalen Währungsfonds sowie der multilateralen Entwicklungsbanken bei der Ausweitung der SDG-Finanzierung auf globaler Ebene. Weitere Befunde Während der COVID-19-Pandemie sind neue Partnerschaften und Innovationen, beispielsweise im Bereich wissenschaftliche Zusammenarbeit und Daten, entstanden, die bei der Umsetzung der Agenda 2030 helfen können. Wissenschaft, technologische Innovationen und Informationssysteme können in Krisenzeiten helfen, Lösungen zu finden, und sie können entscheidende Beiträge zur Bewältigung der großen Herausforderungen unserer Zeit leisten. Hierfür muss verstärkt und langfristig in Forschung und Entwicklung sowie in Bildung investiert werden. Links Bertelsmann Stiftung & Cambridge University (2022): Sustainable Development Report 2022. From Crisis to Sustainable Development, the SDGs as Roadmap to 2030 and Beyond Bertelsmann Stiftung & Cambridge University (2022): Executive Summary Bertelsmann Stiftung & Cambridge University (2022): Länderprofil Österreich (PK)
Antwortbrief ADA: Förderung von Einzelprojekten Süd und Ost Posted on 19. Juli 2022 - 13:55 by Paula Kunzemann Bezugnehmend auf unseren Brief an die ADA, hier nun Antwortbrief der ADA zu Verschiebung Einzelcall Süd und Ost: Grund waren fehlende Ressourcen, wird sobald Ressourcenengpass behoben, wieder zurückgenommen. Mögliche Finanzierungslücken sollen übernommen bzw. geschlossen werden (mittels Antrag) Hohe Inflationsrate, Anhebung & Zwischenfinanzierung: Umwidmungsanträge möglich; Erhöhung Projektbudgets möglich, sofern Gelder in anderen Budgetlinien übrig bleiben Download Austrian Development Agency (06.07.2022): Antwortbrief betreffend Einzelprojekte Süd und Ost
Privatsektorinstrumente & Sonderziehungsrechte beeinflussen Qualität sowie Integrität öffentlicher Entwicklungshilfeleistungen Posted on 29. Juni 2022 - 14:56 by Paula Kunzemann Globale Verantwortung Jene Staaten, die Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind, haben laut verfügbarer Zahlen ihre Ausgaben für Privatsektorinstrumente zwischen 2018 und 2021 von 2,5 auf 4,1 Mrd. US-Dollar erhöht. Das entspricht einem Plus von 39% innerhalb von vier Jahren. Weil Staaten Privatsektorinstrumente in ihre öffentliche Entwicklungshilfeleistungen (Official Development Assistance, ODA) einrechnen, wendet sich die DAC CSO Reference Group mit mehreren Empfehlungen an das DAC: So braucht es Kriterien und Standards, um Privatsektorinstrumente als Teil der ODA zu regulieren. Involvierte Internationale Finanzinstitutionen und Entwicklungsbanken sollten ihre Portfolios transparent offenlegen. Darüber hinaus sollten Sonderziehungsrechte, die auf Länder niedrigen Einkommens umgebettet worden sind, nicht für die ODA anrechenbar sein. Link Joint recommendations of the DAC CSO Reference Group (27.06.2022): Towards increased quality and integrity of ODA in the context of Private Sector Instruments and Special Drawing Rights
Vorläufige ODA-Zahlen 2021: Österreich gab weniger als die Hälfte der versprochenen Summe für Entwicklung aus Posted on 30. April 2022 - 16:35 by Paula Kunzemann Vorläufige ODA-Leistungen Österreichs 20212 Der OECD-Ausschuss für Entwicklungshilfe (Development Assistance Committee, DAC) hat Österreichs vorläufige ODA des Jahres 2021 auf Basis der aktuellen Grant-Equivalent-Berechnungsmethode3 mit 1.234 Mio. Euro berechnet. Die Nettoausschüttungen der ODA-Mittel („Total ODA Flows in net disbursement“) für Österreich liegen bei 1.254 Mio. Euro. Das stellt nur eine minimale Steigerung von 0,30% auf 0,31% im Vergleich zu 2020 dar, obwohl Länder des Globalen Südens insbesondere aufgrund der negativen Folgen der COVID-19-Pandemie sowie multipler Krisen (steigende Armut und Ungleichheiten, Klimakrise, und Kriege und Konflikte) viel mehr Mittel bräuchten, um ihre Bevölkerung zu unterstützen. Screenshot © OECD Die Daten des OECD-DAC für die bilateralen und multilateralen Leistungen sind als Darstellung in der neuen Grant Equivalent Berechnungsmethode vorhanden: Bilateral (auf Grant-Equivalent-Basis): 577 Mio. Euro – das sind 47% der Gesamten ODA Multilateral (auf Grant-Equivalent-Basis): 657 Mio. Euro – das sind 53% der Gesamten ODA Der Anstieg der Mittel im Jahr 2021 ist auf eine Erhöhung der Mittel der humanitären Hilfe, der aufgebrachten Mittel zur COVID-19-Pandemiebekämpfung und der Kosten für Geflüchtete zurückzuführen (die sich von 2,4 % auf 4,3 % (der Gesamt-ODA) erhöht haben). Die Regierung hat den Betrag für humanitäre Hilfe von 50 Mio. Euro im Jahr 2020 auf 97 Mio. Euro im Jahr 2021 erhöht. Die Mittel für die Bewältigung der negativen Folgen der COVID-19-Pandemie wurden auf 53 Mio. Euro aufgestockt, was für gefährdete Menschen lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein ist. Die Mittel für die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LDCs) stiegen auf 70 Mio. Euro, was nur 5,7 % der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe entspricht. Obwohl einige afrikanische Länder südlich der Sahara zu den Schwerpunktländern der OEZA gehören, wurden für sie lediglich 78 Mio. Euro, das sind ca. 6,3 %, bereitgestellt. Diese Daten zeigen, dass die Regierung nach wie vor den Großteil der ODA an Länder mit mittlerem Einkommen (Middle-Income Countries, MICs) vergibt (u.a. Türkei, Bosnien und Herzegowina, und Serbien) und die österreichische ODA somit nicht die Menschen erreicht, die es am dringendsten notwendig hätten. Globale ODA Zahlen sowie Zahlen für EU Mitgliedsstaaten Insgesamt verzeichnet die OECD einen globalen Anstieg der Entwicklungsleistungen um 4,4% im Vergleich zum Vorjahr 2020. Die DAC-CSO Reference Group (eine Plattform zivilgesellschaftlicher Organisationen, die gemeinsam zu OECD DAC Themen arbeitet) weist in ihrer Stellungnahme4 darauf hin, dass sich im gleichen Zeitraum die Zahl der Menschen, die weltweit auf Humanitäre Hilfe angewiesen sind, mit 274 Mio. mehr als verdoppelt habe. Trotz der stark ansteigenden Armutszahlen sind diese Leistungen mit einer durchschnittlichen ODA Quote aller OECD DAC Mitgliedsstaaten von 0,33% des BNE aller DAC Länder für 2021 zu wenig, da diese im Vergleich zum Vorjahr 2020 unverändert blieben. Die Reference Group appelliert daher an die DAC-Mitgliedsstaaten, endlich das international vereinbarte 0,7-%-Ziel zu erfüllen und darüber hinaus 0,15% bis 0,2% ihres Bruttonationaleinkommens für die ärmsten Länder (LDCs) bereitzustellen. Laut OECD ist der Anstieg größtenteils auf die Unterstützung der DAC-Mitglieder für COVID-19-Aktivitäten zurückzuführen, insbesondere in Form von Impfstoffspenden an andere Länder. Werden die Kosten für Impfstoffe ausgeklammert, stieg die ODA im Vergleich zu 2020 real jedoch nur um 0,6 %. Die öffentliche Entwicklungshilfe für COVID-19-Impfstoffspenden belief sich auf 6,3 Mrd. USD (bzw. 3,5 % der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe) und umfasste fast 857 Millionen Dosen für Länder des Globalen Südens. Davon entfielen 2,3 Mrd. US-Dollar (bzw. 1,3 % der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe) auf Spenden von Dosen, die über das inländische Angebot hinausgingen (in der Höhe von fast 357 Mio. Dosen), 3,5 Mrd. US-Dollar auf Spenden von Dosen, die speziell für Entwicklungsländer gekauft wurden, und 0,5 Mrd. US-Dollar auf Nebenkosten. Im Ländervergleich ist festzustellen, dass nur folgende Länder das international vereinbarte Ziel von 0,7% des nationalen BNE erreicht oder übertroffen haben: Dänemark (0,70%), Deutschland (0,74%), Luxemburg (0,99%), Norwegen (0,93%) und Schweden (0,92%). Viele Geberländer außerhalb des OECD DAC haben eine lange Tradition in der Entwicklungszusammenarbeit. Unter ihnen übertraf beispielsweise die Türkei nach den vorläufigen Zahlen für 2021, mit 0,95% das ODA/BNE-Ziel von 0,7%. In absoluten Zahlen zeigen die vorläufigen ODA Daten, dass die öffentliche Entwicklungshilfe für die neunzehn DAC-Mitgliedstaaten der EU im Vergleich zu 2020 um 4,2 % (81,3 Milliarden US-Dollar ) gestiegen ist. Die vorläufigen ODA Leistungen der Europäischen Union liegen trotz allem nur bei 0,49% des gemeinsamen BNE und bleiben unverändert im Vergleich zum Vorjahr. Laut des europäischen Dachverbands für entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen CONCORD liegt die ODA Quote immer noch weit unter dem ODA-Ziel von 0,7 % – und das ist besonders alarmierend in einem Jahr, in dem die Auswirkungen der weltweiten Pandemie die jahrzehntelangen Fortschritte bei den meisten Indikatoren der Agenda 2030 sowie der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung wieder zunichtemachen. Abkürzungslegende OECD (Organization for Economic Cooperation and Development): Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BNE (Bruttonationaleinkommen): Summe der innerhalb eines Jahres von allen Bewohner*innen eines Staates (Staatsangehörige) erwirtschafteten Einkommen, unabhängig davon, ob diese im Inland oder im Ausland erzielt wurden. DAC (Development Assistance Committee): Im Ausschuss für Entwicklungshilfe der OECD sind viele der größten Geberländer von Entwicklungshilfe vertreten, hier werden Fragen bezüglich der Entwicklungszusammenarbeit behandelt. ODA (Official Development Assistance): Öffentliche Entwicklungshilfeleistungen DAC CSO Reference Group (Development Assistance Committee Civil Society Organizations Reference Group): Plattform bestehend aus zivilgesellschaftlichen Organisationen, die gemeinsam an Themen des OECD DAC arbeiten. Quellen 1 Die vorläufigen Zahlen werden im April veröffentlicht, diese werden bis Ende des Jahres noch finalisiert und upgedatet auf der OECD DAC Statistik Webseite veröffentlicht. 2 OECD DAC Presseaussendung: https://www.oecd.org/dac/covid-19-assistance-to-developing-countries-lifts-foreign-aid-in-2021-oecd.htm 3 Das Grant Equivalent dient dazu, Zuschüsse und Kredite vergleichbarer zu machen. Es beschreibt bei einem Kredit eine auf dem Gegenwartswert basierende Schätzung des über die Gesamtlaufzeit des Kredites kumulierten Geschenkanteils zum Zeitpunkt der Kreditauszahlung. Zitiert aus ADA ODA Bericht 2019. Siehe hier zur Erläuterung des Konzeptes des Grant Equivalent. 4 Statement der DAC-CSO Reference Group zu den vorläufigen ODA-Zahlen 2021: https://www.globaleverantwortung.at/it-is-time-to-invest-more-in-humanitarian-assistance-development-and-peace-a-cso-statement-on-oda-at-the-time-of-the-ukraine-crisis/ 5 Statement von CONCORD zu den vorläufigen ODA-Zahlen 2021: https://www.globaleverantwortung.at/corcord-stellungnahme-vorlaeufige-oda-zahlen-2021/