Menschengruppe vor Wasserkiosk im Rwamwanja Refugee Settlement in Uganda
Wasserkiosk im Rwamwanja Refugee Settlement in Uganda © ADRA Österreich

19 „Challenges“ in sechs Jahren. Das ist die Bilanz unseres Co-Creation-Workshops (ehemals Design-Thinking-Workshop), zu dem wir in Zusammenarbeit mit Außenwirtschaft Austria, der Internationalisierungs- und Innovationsagentur der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), jedes Jahr rund 30 Expert*innen aus Zivilgesellschaft und Wirtschaft, aber auch der Wissenschaft laden. Im Vorfeld des Workshops formulieren österreichische Unternehmen und entwicklungspolitische Nichtregierungsorganisationen (NROs) konkrete Problemstellungen aus ihrem Arbeitsalltag (die erwähnten „Challenges“), für deren Lösung die Teilnehmenden dann gemeinsam neue Ideen entwickeln. So tragen sie dazu bei, drängende Herausforderungen in Ländern des Globalen Südens zu lösen und die Agenda 2030 sowie ihre 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung umzusetzen. Nebenbei vernetzen sie sich mit potenziellen Kooperationspartner*innen und profitieren von deren Know-how.

Bevor wir 2023 in die nächste Runde unseres Co-Creation-Workshops starten, wollen wir vier innovative Kooperationen unserer Mitgliedsorganisationen, die wir anstoßen konnten, vorstellen.

Challenge 2017: Sauberes Wasser für Kambodscha

  • In Kambodscha und anderen asiatischen Ländern nutzen viele Gemeinden ihre Brunnen nicht, da das Wasser aufgrund des hohen Eisengehalts salzig schmeckt. Wie kann Brunnenwasser aus tieferen Gesteinsschichten mit erhöhten Mineralanteilen geschmacksneutralisiert oder verändert werden, sodass die Bevölkerung das Wasser gefahrlos trinken kann?

ADRA Österreich und Wasser für die Welt konnten einen technischen Mitarbeiter des Vereins MUT, der auf Wasserfilter im Abwasserbereich spezialisiert war, dafür gewinnen, an ihrer Challenge teilzunehmen. Die Teilnehmenden diskutierten unter anderem den Einsatz von mobilen Industriefilteranlagen sowie die zentrale Sammlung, Filterung und Rückleitung des Brunnenwassers.

Der MUT-Mitarbeiter vermittelte ADRA Österreich den Kontakt zur SFC Umwelttechnik GmbH, einem Salzburger Unternehmen, das Nullmembranfilter entwickelt hat, um Abwasser zu reinigen. Dieser Filter eignet sich sehr gut, um mit festen Partikeln, Viren oder Bakterien verschmutztes Wasser in Regionen des Globalen Südens zu reinigen. Benutzte Filter können über eine Nutzdauer von 10 Jahren durch Rückspülung oder von Hand gereinigt werden (durch schütteln) und benötigen weder Verbrauchsmaterial noch Energie. Infolge unseres ersten Design-Thinking-Workshops testete ADRA Österreich die Industriefilter von SFC in drei verschiedenen Weltregionen, allerdings nicht in Kambodscha.

Das erste Projekt im Rwamwanja Refugee Settlement in Uganda verzögerte sich um ein Jahr. So lange dauerte es, bis ADRA Österreich eine offizielle Zertifizierung dafür erhielt, dass ein eigens gegründetes Komitee im Flüchtlingscamp einen wirtschaftlich nachhaltigen Wasserkiosk betreiben durfte. Weil das Komitee bis heute keine Linzenz für den Wasserverkauf erhalten hat, betreibt es den Kiosk weiterhin als kostenlose Wasserstelle.

Zwei weitere Wasserfilter installierte unsere Mitgliedsorganisation in den Sekundarschulen der Dörfer Ivanovka und Kyrgyz Kyshtak im ländlichen Kirgistan, deren Wasserversorgung und -qualität mangehalft war. Nicht nur Schüler*innen und Lehrpersonal erhielten dadurch Zugang zu sauberem Trinkwasser, sondern auch die Gemeinden. Einen vierten Filter brachte ADRA Österreich nach einem Erdbeben im Frühjahr 2021 im kroatischen Gebirgsdorf Petrinja zum Einsatz.

Das Fazit von ADRA Österreich lautet, dass sich Wasserfilter (wie jene von SFC) hervorragend für ländliche Regionen eignen, in denen die Energieversorgung schlecht und das Wasser durch jegliche Art von Feststoffen verunreinigt ist. Bevor die Filter öffentlich genutzt werden können, müssen sie vor Ort getestet und von zuständigen Behörden zertifiziert werden. Je nach Land kann dieser Prozess viel Zeit in Anspruch nehmen. Darüber hinaus nimmt bei zu viel Wasserdruck ihre Filterleistung ab, woraufhin die Wasserqualität nicht mehr den Anforderungen entspricht. Sobald das Wasser-Team in Uganda eine Verkaufslizenz erhalten hat, kann das Projekt weitere Wasserkiosks bauen und sicheres Trinkwasser für wenig Geld an die Bevölkerung verkaufen.

Challenge 2018: Ökologischer Gemüseanbau im trockenen Afrika

  • Unter welchen Umständen sind Kleinbauern und -bäuerinnen im südlichen Afrika unter den gegebenen klimatischen Bedingungen (Trockenheit, Dürre) bereit, auf biologischen/ökologischen Gemüseanbau für den Eigenbedarf und den Verkauf umzusteigen? Wo ist eine Unterstützung für sie am sinnvollsten?

Die ADRA Österreich und World Vision Österreich möchten in Projektregionen im südlichen Afrika biologischen bzw. ökologischen Gemüseanbau fördern. Eine große Herausforderung stellt dabei die Verfügbarkeit von geeignetem Saatgut, das auch den klimatischen Bedingungen gewachsen ist, dar. Unter dem Motto Diversifizierung entwickelten Workshop-Teilnehmende gleich mehrere Ideen, beispielsweise ein Samenarchiv zu errichten, eine Samenversicherung für Bauern und Bäuerinnen zu etablieren oder ein Programm für „Botschafter*innen“, die das Wissen über Sorten weitergeben.

Im Rahmen eines langfristigen Regionalentwicklungsprogramms in Mosambik trägt World Vision Österreich heute dazu bei, lokal geeignetes Saatgut zu lagern und damit zu sichern. In Eswatini setzte unsere Mitgliedsorganisation ein Projekt für kleinflächigen Gemüseanbau unter klimatisch schwierigen Bedingungen um. Allerdings besteht dort weiterhin das Problem, wiederverwendbares Saatgut aufzutreiben.

Challenge 2018: Innovativ in der Humanitären Hilfe

  • Wie können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Österreichischen Roten Kreuzes (ÖRK) sicherstellen, dass für sie relevante technische Entwicklungen gescoutet, beurteilt und in den beruflichen Alltag integriert werden können? Welche organisatorischen und ablauftechnischen Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein?
Mitarbeiter*innen des Österreichischen Roten Kreuzes während eines internen Workshops
Mitarbeiter*innen des Österreichischen Roten Kreuzes während eines internen Innovationsworkshops 2018 © Österreichisches Rotes Kreuz

Das ÖRK steht vor der Herausforderung, den Überblick über technische Neuerungen und Innovationen in den Kerntätigkeitsbereichen der Organisation zu behalten, deren Relevanz zu beurteilen und diese gegebenenfalls in den laufenden Betrieb zu integrieren. Gemeinsam mit einem Team von Innovationsexpert*innen entwickelten Vertreter*innen des Roten Kreuzes einen idealtypischen Ablauf, wie lokal entstandene Innovationen zur Weiterentwicklung und Verbreitung in die Organisation und von dort wieder zurück ins Feld zur Umsetzung gelangen können.

Noch im selben Jahr schrieb das ÖRK die Stelle einer*eines Innovation-Facilitators im Bereich Internationale Zusammenarbeit aus und besetzte sie. 2018 und 2019 erhielten elf Arbeitsgruppen methodische und personelle Unterstützung, um in zwei Innovationszyklen Lösungen für interne Problemstellungen zu entwickeln und zu testen. Daraus gingen der Gender & Diversity Think and Do Tank zur institutionellen Verankerung sowie die Comms Delegates für eine bessere Öffentlichkeitswirkung von Projekten hervor.

Innovationen hielten mittlerweile auch in neu beantragte Projekte Einzug: So fördert SKYBIRD lokale Innovation durch Mikroprojekte und Kapazitätsentwicklung im WASH-Bereich (Wasser, Sanitätsversorgung und Hygiene) in ostafrikanischen Ländern. Und das Programm REDpreneur fördert wiederum finanziell nachhaltige, soziale Innovation, in dem es lokale Projektpartner*innen in Ost- und Südeuropa sowie im Südkaukasus dabei unterstützt, unternehmerische Fachkenntnisse im Gesundheits- und Pflegebereich aufzubauen, um den Zugang zu hochqualitativen, kostendeckenden Dienstleistungen in diesem Bereich zu verbessern.

Challenge 2020: Attraktiv für Impact Investments

  • Welche nachhaltigen Finanzprodukte können wir als Österreichisches Rotes Kreuz anbieten, sodass potenzielle Investor*innen eine Investition in unsere Projekte gegenüber konventionellen Finanzprodukten bevorzugen?

Gemeinsam mit Impact-Investment-Expert*innen skizzierten Vertreter*innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft während des Workshops einen klaren Fahrplan für das Projekt ÖRK-Investment Ready, die unter anderem eine Potenzialanalyse und den Aufbau interner Kompetenzen vorsah. Damit verfolgt das ÖRK das Ziel, ausgewählte Projekte fit für Impact-Investments (die einen messbaren, positiven Einfluss auf Gesellschaft und Umwelt haben sollen) zu machen, um weniger von Projektförderungen abhängig zu sein.

Aus dieser Challenge entsprang zwar kein direktes Folgeprojekt, doch startete das ÖRK im Jahr 2021 eine Kooperation mit dem Dänischen Roten Kreuz, um ein Konzept für einen Impact Investment Fonds für den Gesundheitsbereich des Roten Kreuzes zu erarbeiten. Derzeit starten die Organisationen das Fundraising für den spendenbasierten Pilot-Fonds. Der Humanitarian Health Fund soll wiederum in interne Unternehmen sowie Gesundheits-Start-ups in Schwerpunktländern des ÖRK investieren. Der Pilot-Fonds zahlt Kapitalgeber*innen allerdings keine Rückflüsse in Form von Umsatzbeteiligungen, Kreditrückzahlungen oder Exits aus, sondern investiert sie im Sinne einer länger wirkenden Spende neu.

(hh)