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Nach der Begrüßung von Thomas Weber (Leiter der Öffentlichkeitsarbeit im Informationsbüro des Europäischen Parlaments in Österreich) und einleitenden Worten von Annelies Vilim (Geschäftsführerin der AG Globale Verantwortung) folgte eine Präsentation von Sophie Veßel (entwicklungspolitische Referentin, AG Globale Verantwortung), die den inhaltlichen Rahmen der Veranstaltung vorgab. Es wurde eine Videobotschaft von René Millogo (PASMEP – Initiative zur Unterstützung von MilchviehhirtInnen in Burkina Faso) abgespielt, der die Situation vor Ort schilderte.

Anschließende Podiumsdiskussion mit:

  • Erwin Schöpges (Vorstandsmitglied im European Milk Board, Milchbauer in Belgien)
  • Marcus Kucera (Leiter der Abteilung für Internationale Agrar- und Handelspolitik im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft (BMLFUW))
  • Norbert Probst (Referent für Politikkohärenz in der Generaldirektion für Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (DG DEVCO), Europäische Kommission)
  • Tobias Reichert (Teamleiter zu den Themen Welternährung, Landnutzung und Handel bei Germanwatch)

Annelies Vilim brachte in ihren einleitenden Worten klar zum Ausdruck, dass eine Welt ohne Armut und Hunger durchaus möglich ist: Mit der 2030 Agenda und den darin enthaltenen SDGs (Sustainable Development Goals) sei 2015 eine politische Vision für eine bessere Welt von der internationalen Staatengemeinschaft beschlossen worden. Die 2030 Agenda sei ein Masterplan, der die Möglichkeit biete, allen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Allerdings müssen für die Umsetzung der SDGs unterschiedliche Politiken, etwa Handels- und Steuerpolitik, mit der Entwicklungspolitik so abgestimmt werden, dass sie entwicklungspolitische Ziele unterstützen und nicht behindern. Ein Konzept dafür liege längst auf dem Tisch. Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (PCSD) sei ein anerkanntes Prinzip der EU und im Vertrag von Lissabon festgeschrieben. Dieser ganzheitliche Politikansatz müsse sich für die Umsetzung der SDGs in der politischen Praxis wiederfinden.

Die Unfaire Milch?

Sophie Veßel gab einen Überblick über die Auswirkungen der Agrar- und Subventionspolitik der EU und Österreichs im Milchsektor. Die Liberalisierung des Milchmarktes und die Abschaffung der Milchquote sowie die aktuelle Förderpolitik der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU habe zur Folge, dass in der EU und Österreich deutlich mehr Milch produziert als verbraucht werde. Diese Überschüsse der EU werden oft in Form von günstigem Milchpulver nach Westafrika exportiert. Das könne die Entwicklung lokaler Märkte vor Ort behindern und wirke entwicklungspolitischen Maßnahmen entgegen. So sei beispielsweise in Burkina Faso die lokal erzeugte Milch deutlich teurer als jene aus importiertem Milchpulver und konterkariere damit den Aufbau lokaler Milchmärkte. Auch für kleine milcherzeugende Betriebe in Österreich sei die Politik nachteilig, da viele den stark schwankenden Preisen nicht standhalten können.

Man könne also durchaus von einem  Widerspruch zwischen Bemühungen der Entwicklungspolitik lokale Märkte aufzubauen sowie Lebensperspektiven zu ermöglichen und den Auswirkungen der Agrarpolitik der EU, die Österreich mittrage, sprechen.

Veßel stellte als Lösungen für diesen Widerspruch folgende agrarpolitische und institutionelle Empfehlungen vor, die den bestehenden Widersprüchen entgegenwirken und zur Umsetzung von Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung (PCSD) beitragen würden:

  • Investitionszuschüsse in Österreich zukünftig nur mehr für Modernisierungen oder Umbauten ausbezahlen und nicht für neue Produktionskapazitäten
  • Entwicklungsländern wie Burkina Faso erlauben, Maßnahmen zum Schutz des eigenen Marktes im Bereich der Milchproduktion zu ergreifen
     
  • Zentrale Instanz auf höchster politischer Ebene einrichten, die im Falle von politischen Inkohärenzen oder gegensätzlichen Interessen nach klaren Kriterien Entscheidungen treffen kann
  • Verantwortlichkeiten und Kompetenzen in Bezug auf PCSD festlegen und Partizipation der relevanten Stakeholder gewährleisten
  • bei Gesetzesentwürfen bereits im Vorfeld Analysen verbindlich durchführen und Auswirkungen von Gesetzen auf entwicklungspolitische Ziele prüfen 

René Millogo von der Pastoralistenorganisation PASMEP wies in seinem Videostatement darauf hin, dass die Abschaffung der europäischen Milchquote nicht nur negative Auswirkungen auf den europäischen Milchmarkt gehabt habe, sondern auch gravierende sozioökonomische Folgen für die lokalen Märkte Burkina Fasos habe. Vielen Viehhirten werde die Existenzgrundlage entzogen. Die ungleichen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen Europa und Afrika begünstigen nur eine Seite und ermöglichen, westafrikanische Länder mit Milchprodukten zu „überschwemmen“. Sie förderen darüberhinaus ein Anwachsen der Zahl an Flüchtenden nach Europa. Sein Appell richtete sich nicht nur an die PolitikerInnen der EU, sondern auch an die europäische Zivilgesellschaft: „Wir erwarten von der EU, dass sie diese Politik wirklich genau überprüft, und wir bitten die Bevölkerung Europas, die Ratifizierung dieser Verträge nicht zu akzeptieren.“

Agrarexport und nachhaltige Entwicklung

Marcus Kucera, BMLFUW, betonte während der Diskussion die Bedeutung von Handel für die SDGs und verwies dabei auf Ziel 17, welches ein gerechtes Handelssystem zum Inhalt hat. Auch für Westafrika sei der Handel mit der EU von Interesse. Die EU reagiere auf die weltweit steigende Nachfrage nach Milchprodukten und exportiere vor allem verarbeitete Produkte wie Käse. Die Agrarpolitik sei außerdem zentral für die Existenzen landwirtschaftlicher Betriebe in Europa. Österreich selbst liefere kein Milchpulver nach Westafrika. Ein Exportstopp von Milchprodukten aus der EU nach Burkina Faso sei keine Lösung des Problems, denn in Folge würden größere Player wie beispielsweise die USA, Australien, Neuseeland diese Marktsituation nutzen. Grundsätzlich haben andere große Märkte bedeutenden Einfluss auf den Milchmarkt und die Preise.

Norbert Probst, Europäische Kommission, betonte, dass sich die EU und ihre Mitgliedsstaaten  zu Politikkohärenz im Interesse von Entwicklung verpflichtet haben. Die Herausforderung sei, Strategien zu ihrer Umsetzung zu entwickeln. Die 2030 Agenda böte eine große Chance, das Thema Politikkohärenz aus der entwicklungspolitischen Ecke herauszuholen und zu einem allgemeinen Anliegen aller Stakeholder zu machen. Gleichzeitig betrachtete er die 2030 Agenda als eine große Herausforderung. Denn die 17 nachhaltigen Entwicklungsziele stünden oft im Spannungsfeld zueinander: Während z.B. durch entwicklungspolitische Maßnahmen die Ernährungssicherung in Ländern des Südens gefördert werden müsse, solle gleichzeitig das Handelssystem gestärkt und Wirtschaftswachstum erzielt werden. Aufgrund der Komplexität des Themas sei es für die Verwirklichung der globalen Nachhaltigkeitsagenda zentral, verschiedenste Stakeholder zusammenzubringen.

Tobias Reichert, Germanwatch, betonte, dass die Hälfte der Hungernden weltweit Kleinbauern und -bäuerinnen seien. Die Nachfrage nach Fleisch- und Milchprodukten in Entwicklungsländern steige, dieses Potenzial müssen KleinbäuerInnen nützen können. Das werde aber durch die Exporte der EU verhindert. Ziel sei  eine Agrarpolitik zu fördern, die kostendeckende Erträge für LandwirtInnen schaffe. Reichert sah die Exportpolitik der EU mitverantwortlich für die prekäre Lebenslage vieler Bauern und Bäuerinnen in ländlichen Gebieten des globalen Südens und betonte die Bedeutung lokaler Märkte für Armutsbekämpfung und ländliche Entwicklung in Entwicklungsländern.

Erwin Schöpges, Milchbauer und Mitglied des European Milk Board, kritisierte die Milchpulverexporte der EU. Durch seine Arbeit habe er immer wieder in Westafrika zu tun und könne dadurch miterleben, wie die europäischen Exporte die lokalen kleinbäuerlichen Betriebe in Burkina Faso zerstörten, weil europäische Produkte zu „Dumpingpreisen“ verkauft würden. „Die westafrikanischen Bauern können ihre Produkte nicht entwickeln.“ Er kritisierte vor allem die noch immer bestehende koloniale Haltung der EU gegenüber Ländern des globalen Südens. Denn erfolgreiche Entwicklungspolitik müsse die Politik vor Ort anstoßen. Ziel müsse sein, dass Bauern und Bäuerinnen von ihrer Produktion leben können. „Solange die Rahmenbedingungen nicht geändert werden, wird sich das Hamsterrad immer weiterdrehen.“ Sein Appell an die EU lautete: Es solle vernünftige Arbeit für Menschen, nicht für Konzerne gemacht werden.

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(sv), (kkr)