Ausgelassener Brunnen, im Hintergrund Berge
© Hannah Hauptmann

Seit Ausbruch der Pandemie haben zivilgesellschaftliche Organisationen immer wieder konkrete Empfehlungen für eine Unterstützung einkommensschwacher und hoch verschuldeter Länder in der Coronakrise durch Entschuldungsmaßnahmen sowie eine nachhaltige Lösung von Schuldenkrisen formuliert – siehe insbesondere der Brief zivilgesellschaftlicher Organisationen an die G201 (Oktober 2020), die Empfehlungen von Erlassjahr.de2 (Jänner 2021) sowie die bereits vor der Pandemie von Eurodad formulierten zehn zivilgesellschaftlichen Prinzipien zur Resolution von Schuldenkrisen3 (September 2019).

Zu den zentralsten Empfehlungen zählen:

1. Bedingungsloser Erlass der Schuldendienste aller kritisch verschuldeter Staaten zumindest bis Ende 2024

  • Beteiligung aller Gläubiger an diesem Schuldenerlass, d.h. bilateraler, multilateraler und privater Gläubiger gleichermaßen
  • Ausweitung bestehender Initiativen (DSSI, Common Framework, CCRT) auf alle Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen

2. Bedingungslose und rasche Übertragung von Sonderziehungsrechten an bedürftige Länder, ohne deren Schuldenstand zu erhöhen

  • Konditionalitätenfreie Übertragung, d.h. weder an direkte noch indirekte wirtschaftspolitische Bedingungen gebunden
  • Übertragung sowohl an Länder mit niedrigem als auch an Länder mit mittlerem Einkommen, die von bisherigen Schuldenerleichterungen ausgeschlossen sind

3. Entwicklung von Fahrplänen mit kritisch verschuldeten Staaten für den vollständigen Erlass ihrer öffentlichen Auslandsschulden

  • Beteiligung aller Gläubiger an diesem Schuldenerlass, d.h. bilateraler, multilateraler und privater Gläubiger gleichermaßen
  • Politische und rechtliche Unterstützung von Schuldnerstaaten durch öffentliche Gläubiger bei den Verhandlungen mit privaten Gläubigern
  • Verfahren zur Lösung von Schuldenkrisen unter Leitung einer unabhängigen Instanz, d.h. nicht wie bisher üblich unter der Schirmherrschaft von IWF und bilateralen Gläubigern
  • Einbeziehung von Schuldnerstaaten in den Verhandlungsprozess

4. Verwendung der durch Schuldenerlass freiwerdenden Ressourcen für die Bewältigung der Pandemie sowie ihrer sozialen und wirtschaftlichen Folgen

  • Kurzfristige Verwendung freiwerdender finanzieller Ressourcen, um den unmittelbaren Bedarf an lebenswichtiger und universeller Gesundheitsversorgung, sozialem Schutz und anderen wesentlichen Dienstleistungen und Rechten zu decken, die Sicherheit und das Wohlergehen von Menschen und Gemeinschaften zu gewährleisten sowie schutzbedürftigen und marginalisierten Einzelpersonen, Familien und Gemeinschaften wirtschaftliche und strukturelle Hilfe zu gewähren
  • Mittel- und langfristige Verwendung der freiwerdenden Mittel für Maßnahmen zum Klimaschutz sowie zum Aufbau von Wirtschaften, die Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit achten sowie klimaresilient und mit der Gesundheit unseren Planeten vereinbar sind

5. Entwicklung eines fairen, transparenten, verbindlichen und multilateralen Rahmenwerks für die Lösung von Schuldenkrisen (unter Schirmherrschaft der Vereinten Nationen), das sich mit nicht tragfähigen und rechtswidrigen Schulden befasst

Aktuell gibt es für kritisch verschuldete Staaten keinen geordneten Ausweg aus der Überschuldung, wie es ihn etwa für private Unternehmen gibt. Verschuldete Staaten sind vom Entgegen­kommen ihrer Gläubiger abhängig. Daher empfehlen zivilgesellschaftliche Organisationen ein Rahmenwerk für die Lösung von Schuldenkrisen mit folgenden Elementen:4

  • Schaffung einer neutralen, von Gläubiger- wie Schuldnereinflüssen unabhängigen Entscheidungsinstanz
  • Möglichkeit für Schuldnerstaaten, ein Verfahren zur Umstrukturierung von Staatsschulden zu initiieren
  • Automatischer Zahlungsstopp und Aussetzung aller Gläubigerprozesse und -vollstreckungen, sobald ein Verfahren in Gang gebracht wurde, um eine faire und gleiche Behandlung aller Gläubiger im Verfahren zu gewährleisten
  • Alle Forderungen an den Schuldnerstaat, i.e. von bilateralen, multilateralen und privaten Gläubigern, werden in ein einziges rechtsstaatliches Verfahren einbezogen, um eine nachhaltige Lösung der Schuldenkrise zu ermöglichen
  • Alle betroffenen Parteien sollen das Recht haben, vor einer Entscheidung angehört zu werden (Schuldnerstaat, Gläubiger, Einwohner*innen eines verschuldeten Staates)
  • Die Situation des Schuldnerstaats (inkl. Rechtmäßigkeit und Legitimität von Schulden) wird von einer unabhängigen Instanz bewertet und beinhaltet eine menschenrechtliche Folgenabschätzung
  • Schuldentragfähigkeit, welche die Bedürfnisse der Bevölkerung und den Schutz der Ärmsten und Verwundbarsten in der Bevölkerung vor das Bedienen von Schuldendiensten stellt, sollte im Zentrum eines Verfahrens zur Umstrukturierung von Staatsschulden stehen
  • Zur Gewährleistung von Transparenz sollten Standardverfahren für die Umstrukturierung von Staatsschulden entwickelt werden; alle Verhandlungen und ihre Ergebnisse sollten öffentlich gemacht werden

6. Verabschiedung eines Abkommens über gemeinsame und verbindliche Grundsätze für eine verantwortungsvolle Kreditaufnahme und Kreditvergabe

  • Basierend auf einer gründlichen Überprüfung von Kreditvergabe-, Kreditaufnahme- und Zahlungspolitik und -praxis auf nationaler und globaler Ebene
  • Das Abkommen sollte die erneute Anhäufung nicht tragbarer und rechtswidriger Schulden verhindern, demokratische Institutionen und Prozesse stärken sowie Menschenrechte achten

1 Zivilgesellschaftlicher Brief an die G20 (15.10.2020): Global Week of Action for Debt Cancellation

2 Erlassjahr.de (2021): Schuldenreport 2021

3,4 Eurodad (Sept. 2019): We can work it out. 10 civil society principles for sovereign debt resolutions


Download

AG Globale Verantwortung (Apr. 2022): Briefingpapier: Von der Coronakrise in die Schuldenkrise. Warum die Coronakrise auch die Schuldenkrise im Globalen Süden verschärft und welche Lösungsansätze es gibt


Links

(Ilona Reindl und Gabriel Eyselein, in Zusammenarbeit mit dem VIDC)