Baustelle bei Sonnenuntergang, dahinter das Meer.
© Hannah Hauptmann

Seit Ausbruch der COVID-19-Pandemie Anfang 2020 haben bilaterale und multilaterale Gläubiger mehrere Initiativen gestartet, um Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen durch Schuldenerleichterungen und -erlasse bei der Pandemiebekämpfung zu unterstützen. Die G20 und der Pariser Club einigten sich noch im April 2020 auf die Debt Service Suspension Initiative (DSSI), über die Länder mit niedrigem Einkommen ihren Schuldendienst bei bilateralen Gläubigern vorübergehend aussetzen können. Später wurde diese Initiative um das Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI erweitert, um eine nachhaltigere Lösung als die Stundung von Schuldendiensten zu ermöglichen. Auch der IWF erlässt seit April 2020 über den Catastrophe Containment and Relief Trust (CCRT) seinen ärmsten Mitgliedern den Schuldendienst.

G20 & Pariser Club: Debt Service Suspension Initiative (DSSI) und Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI

Im April 2020 einigten sich die G20-Staaten und der Pariser Club im Rahmen der Debt Service Suspension Initiative (DSSI) darauf, 73 Ländern (hauptsächlich Länder mit niedrigem Einkommen) die Möglichkeit zu geben, ihren Schuldendienst für das Jahr 2020 auszusetzen und so kurzfristig Ressourcen zur Krisenbewältigung mobilisieren zu können. Diese Initiative wurde mehrfacht verlängert und lief am 31.12.2021 endgültig aus. Bislang haben 48 Länder die DSSI in Anspruch genommen,1 denen insgesamt 10,3 Mrd. US-Dollar2 an Schulden gestundet wurden. Zwischen Mai 2020 und Juni 2021 entsprach dies etwa 23% des Schuldendienstes3 dieser Länder. Die gestundeten Schulden müssen ab 2023 wieder zurückgezahlt werden, zusätzlich zu den in diesem Zeitraum ohnehin anfallenden Schuldendiensten.

Mit dem Common Framework for Debt Treatments beyond the DSSI (CF) hat die G20 in Kooperation mit dem Pariser Club im November 2020 ein neues Umschuldungsverfahren geschaffen. Mit diesem Rahmenwerk sollen kritisch verschuldete Länder, die Schuldenerleichterungen benötigen, die über ein vorübergehendes Aussetzen des Schuldendiensts hinaus gehen, unterstützt werden. Die Umschuldungsverhandlungen unter dem Common Framework werden auf Antrag der verschuldeten Länder gestartet, anspruchsberechtigt sind dieselben 73 Länder wie unter der DSSI. Mögliche Erleichterungen sind Schuldenreduzierungen oder Fristverlängerungen, ein Schuldenerlass ist grundsätzlich nicht vorgesehen. Bislang haben lediglich drei Länder eine Umschuldung unter dem Common Framework4 beantragt (Äthiopien, Tschad und Sambia), die Verhandlungen erweisen sich als schwierig.

An beiden Initiativen beteiligen sich ausschließlich bilaterale Gläubiger (Mitglieder der G20 bzw. des Pariser Clubs). Weltbank und IWF haben die Gründung der Initiative zwar gefordert, beteiligen sich aber selbst nicht an Schuldenerleichterungen im Rahmen der Initiativen, ebenso wenig wie multilaterale Entwicklungsbanken. Beide Initiativen sehen eine Beteiligung privater Gläubiger5 vor, wobei das Common Framework dies sogar als Bedingung für Schuldenerleichterungen definiert hat. Die Schuldnerländer sind aufgefordert, mit privaten Gläubigern gleichwertige Zugeständnisse auszuhandeln, um Anspruch auf Schuldenerleichterungen unter dem Common Framework zu haben (Gleichbehandlungsklausel). Allerdings gibt es dafür keine rechtliche Grundlage und private Gläubiger zeigen bislang wenig Bereitschaft, sich an Schuldeninitiativen zu beteiligen (siehe unten).

IWF: Catastrophe Containment and Relief Trust

Der IWF gewährt über den Catastrophe Containment and Relief Trust (CCRT)6 seit April 2020 seinen ärmsten 29 Mitgliedsländern Zuschüsse, mit denen sie ihren Schuldendienst beim IWF begleichen können. Der IWF verlängerte das Angebot mehrmals, zuletzt bis Jänner 2022. Anders als die G20 stundet der IWF die Schuldendienste nicht nur, sondern erlässt sie tatsächlich. Mit Stand Februar 2022 hat der IWF über den CCRT insgesamt 851 Mio. US-Dollar an Schuldendienst erlassen.7,8


Reduktion des Schuldendrucks durch IWF-Sonderziehungsrechte

In einem historischen Schritt hat der IWF im August 2021 seine Sonderziehungsrechte (Special Drawing Rights, SDR) um 650 Mrd. US-Dollar aufgestockt. Damit stellt der IWF der internationalen Staatengemeinschaft zusätzliche Liquidität zur Bekämpfung wirtschaftlicher und sozialer Folgen der Pandemie zur Verfügung. Die SDR können auch dafür genützt werden, Schuldendienste beim IWF und bei anderen Staaten zu begleichen und so den Schuldendruck auf kritisch verschuldete Länder mindern.

Die Verteilung der Sonderziehungsrechte erfolgte im Verhältnis zur IWF-Quote und zur relativen Wirtschaftskraft der Länder. Das führte paradoxerweise dazu, dass einkommensschwache Länder am wenigsten erhielten,9 obwohl sie diese Finanzspritze am dringendsten benötigen würden. So erhielten 70 Länder mit niedrigem Einkommen insgesamt lediglich SDR im Wert von 21 Mrd. US-Dollar. Zum Vergleich: Österreich alleine erhielt SDR im Wert von 5,37 Mrd. US-Dollar. Der IWF10 – ebenso wie zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen –11 rufen einkommensstärkere Länder daher dazu auf, einen Teil der ihnen zugesprochenen SDR an einkommensschwächere Länder zu übertragen. Von einigen  G20-Mitgliedern gibt es Zusagen, SDR in Höhe von 45 Mrd. US-Dollar an einkommensschwächere Länder zu übertragen.12


Kritik an bestehenden Schuldeninitiativen 

So unterschiedlich die skizzierten Initiativen sind, so haben sie doch einiges gemeinsam: Das Volumen der Schuldenerlasse bzw. -erleichterungen ist gering, oft nicht mehr als der sogenannte Tropfen auf dem heißen Stein. Auch der Kreis der Länder, die Schuldenerleichterungen in Anspruch nehmen könnten, ist begrenzt. Insbesondere Länder mit mittlerem Einkommen sind von den Initiativen ausgeschlossen. Private Gläubiger beteiligen sich nicht an den Initiativen und üben darüber hinaus sogar Druck auf anspruchsberechtigte Staaten aus, auf Schuldenerleichterungen zu verzichten. IWF und Weltbank sind treibende Kräfte hinter den Initiativen, beteiligen sich jedoch selbst nicht an Schuldenerleichterungen.
Die wichtigsten Kritikpunkte sind:

  • Geringes Volumen an Schuldenerleichterungen, kaum Schuldenerlasse
    Seit Ausbruch der Pandemie wurden verschuldeten Ländern insgesamt magere 851 Mio. US-Dollar an Schulden erlassen – das entspricht rund 0,1% des Schuldendienstes13 von Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen gegenüber ausländischen Gläubigern allein im Jahr 2020. Grund ist, dass lediglich der IWF über seinen CCRT tatsächlich Schulden erlässt. Im Gegensatz dazu setzen die G20 im Rahmen des DSSI Schuldendienste nur vorübergehend aus, d.h. Zahlungsverpflichtungen werden nicht erlassen, sondern in die Zukunft verschoben. Und auch das Volumen der insgesamt über die DSSI gestundeten Schuldendienste ist mit 10,3 Mrd. US-Dollar14 gering.

    Auch das Common Framework sieht theoretisch lediglich Stundungen, Fristverlängerungen und Zinssenkungen, aber keine Schuldenerlasse vor, auch wenn die konkrete Ausgestaltung der Erleichterungen stärker an die Bedürfnisse des jeweiligen Schuldnerstaates angepasst wird. Bislang haben drei Länder (Tschad, Äthiopien und Sambia), um Schuldenerleichterungen im Rahmen des Common Framework angesucht. Die Verfahren laufen noch, da noch kein Land eine Einigung mit seinen Gläubigern erzielen konnte. Das bedeutet wiederum, dass noch kein Land tatsächlich Schuldenerleichterungen im Rahmen des Common Framework erhalten hat.
     

  • Länder mit mittleren Einkommen trotz Überschuldungsgefahr von Schuldenerleichterungen ausgeschlossen
    DSSI und Common Framework stehen 73 Ländern (IDA-anspruchsberechtigte15 Länder plus Angola)16 offen, den CCRT des IWF können lediglich 29 Länder derselben Gruppe in Anspruch nehmen. Ausgeschlossen von Schuldenerleichterungen sind damit die meisten Länder mit mittlerem Einkommen – die aber ebenso von den negativen wirtschaftlichen Folgen der Pandemie (Rückgang Rohstoffexporte, Einbruch Tourismussektor, etc.) und dadurch sinkenden Staatseinnahmen betroffen sind.
     
  • Private Gläubiger unterminieren Schuldeninitiativen
    DSSI-anspruchsberechtigte Länder mussten 2021 Schuldendienste in Höhe von 14 Mrd. US-Dollar an private Gläubiger17 leisten, das entspricht knapp 30 Prozent all ihrer Zahlungen für Zinsen und Tilgung im Jahr 2021. Trotz zahlreicher Appelle von IWF, Weltbank, nationaler Regierungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zeigen private Gläubiger bislang jedoch wenig Bereitschaft, sich an der DSSI oder dem Common Framework zu beteiligen. Tatsächlich gab es seit Schaffung der DSSI im April 2020 keinen einzigen Zahlungsaufschub eines privaten Gläubigers18 an ein DSSI-anspruchsberechtigtes Land. Auch die Verhandlungen unter dem Common Framework stocken unter anderem aufgrund des geringen Entgegenkommens privater Gläubiger.

    Die Nicht-Beteiligung privater Gläubiger an Schuldeninitiativen kann dazu führen, dass Länder finanzielle Erleichterungen, die ihnen eventuelle Zahlungsaufschübe und Schuldenerleichterungen anderer Gläubiger ermöglichen, nicht dafür verwenden können, beispielsweise in Gesundheits- und Bildungssysteme, Impfkampagnen oder Sozialprogramme zur Abfederung der Folgen von COVID-19 zu investieren, sondern dafür, Schulden an private Gläubiger zurückzuzahlen. Zudem haben private Gläubiger verschuldeten Ländern erfolgreich vermittelt, dass die Inanspruchnahme von Schuldenerleichterungen ihre Kreditratings auf den internationalen Kapitalmärkten verschlechtern, künftige Kreditaufnahmen verteuern oder gar ihren Ausschluss vom Kapitalmarkt zur Folge haben könnte. Nicht zuletzt darum haben sich gut ein Drittel (25 von 73) der anspruchsberechtigten Länder gegen eine Inanspruchnahme der Debt Service Suspension Initiative der G20 und des Pariser Clubs entschieden.19 Allerdings entbehrt dieses Bedrohungsszenario jeglicher empirischen Grundlage. Die Vergangenheit zeigt, dass die Inanspruchnahme von Schuldenerleichterungen mittelfristig den Kapitalmarktzugang betroffener Länder verbessert,20 insbesondere wenn untragbare Altschulden gestrichen werden und sie dadurch in die Lage versetzt werden, neue Schulden zuverlässig zu bedienen. Dadurch wird das Land auch für Neuanleger attraktiv.
     

  • IWF, Weltbank und multilaterale Entwicklungsbanken beteiligen sich nicht an Schuldeninitiativen
    Obwohl die DSSI und das Common Framework auf Drängen von Weltbank und IWF ins Leben gerufen wurden, beteiligen sich bislang weder diese beiden Institutionen noch andere multilaterale Entwicklungsbanken daran. Die Weltbank und andere Entwicklungsbanken begründen ihre Ablehnung damit, dass eine Beteiligung ihr Finanzierungsmodell untergraben würde, das auf der Möglichkeit beruht, zu günstigen Konditionen auf dem internationalen Finanzmarkt Geld aufzunehmen. Die Institutionen befürchten, dass eine Suspendierung der Schuldendienste ihre Kreditwürdigkeit beeinträchtigen21 würde und damit in weiterer Folge auch ihre Fähigkeit, Zuschüsse und Kredite zur Bewältigung der Pandemie zu gewähren. Tatsächlich hatte etwa die Beteiligung der Weltbank an einer früheren Schuldeninitiative, der Multilateral Debt Relief Initiative (MDRI) im Jahr 2006, keine negativen Auswirkungen auf das Triple-A-Rating der Weltbank. Für eine Beteiligung an den Schuldeninitiativen spricht hingegen, dass finanzielle Ressourcen, die durch Schuldendiensterleichterungen freigesetzt werden, den betroffenen Ländern mehr finanzielle Möglichkeiten22 für nachhaltige Krisenbewältigung gewähren würden, als dies bei Zuschüssen und Krediten der Fall ist, da diese oft an Konditionen gebunden sind – in der Vergangenheit etwa an Sparmaßnahmen oder  Privatisierungen. Derartige Kürzungen öffentlicher Ausgaben etwa für Gesundheit, Bildung und Sozialprogramme würden erneut jene Menschen am härtesten treffen, die aufgrund der Pandemie bereits Arbeit und Einkommen verloren haben und von Armut bedroht sind.

1,2,14,19 Weltbank (10.03.2022): Debt Service Suspension Initiative

3 Jubilee Debt Campain (Okt. 2021): How the G20 debt suspension initiative benefits private lenders

4 Pariser Club (03.11.2021): The Paris Club has successfully implemented the DSSI and is committed to the CF

5 Erlassjahr.de (Sep. 2021): Entschuldungskurier 2021

6 International Monetary Fund (08.04.2021): The IMF’s Response to COVID-19

7 Der CCRT wird durch Beiträge bilateraler Geber gefüllt, so dass diese (indirekt) für die Schulden des Empfängerlandes aufkommen.

8 International Monetary Fund (Stand 09.03.2022): COVID-19 Financial Assistance and Debt Service Relief

9 Oxfam International (24.08.2021): SDRs have landed in IMF member countries’ accounts. Now what?

10 International Monetary Fund Blog (27.10.2021): Joint Action Needed to Secure the Recovery

11 AG Globale Verantwortung (01.10.2021): Zivilgesellschaftliche Organisationen fordern eine gerechte Umverteilung von IWF-Sonderziehungsrechten

12 ECDPM (17.01.2022): EU countries should reallocate a share of their special drawing rights as a strong commitment at the EU-AU Summit

13 Erlassjahr.de (2022): Schuldenreport 2022

15 International Development Association (o.D.): Borrowing Countries

16 Die Anspruchsberechtigung einer Förderung im Rahmen der International Development Association (IDA) der Weltbank hängt in erster Linie von der relativen Armut eines Landes ab. Sollte das Pro-Kopf-Einkommen unterhalb eines festgelegten Schwellenwerts liegen (2022: $1,205) gilt ein Land als förderwürdig. Darüber hinaus unterstützt die IDA auch einige Länder, die zwar über dem operationellen Schwellenwert liegen, aber nicht über die erforderliche Kreditwürdigkeit verfügen. Aktuell sind insgesamt 74 Länder berechtigt, IDA-Mittel zu erhalten.

17 Weltsichten (20.01.2021): Das Moratorium hilft den Falschen

18,20 Friedrich-Ebert-Stiftung (Aug. 2021): Nie wieder Kredit? Wie private Gläubiger Entschuldungsinitiativen torpedieren

21 Erlassjahr.de (Juni 2021): Fachinformation 67: Häufig vorgebrachte Argumente gegen die Beteiligung von multilateralen Entwicklungsbanken an Schuldenerlassen – und was von ihnen zu halten ist

22 AG Globale Verantwortung (16.09.2020): COVID-19 Response: Is the World Bank right about not suspending debt service payments of developing countries? A Pro & Contra


Download

AG Globale Verantwortung (Apr. 2022): Briefingpapier: Von der Coronakrise in die Schuldenkrise. Warum die Coronakrise auch die Schuldenkrise im Globalen Süden verschärft und welche Lösungsansätze es gibt


Links

(Ilona Reindl und Gabriel Eyselein, in Zusammenarbeit mit dem VIDC)