Baustelle, davor eine blaue, zerschlissene Plastikplane
© Hannah Hauptmann

Ob ein Staat als kritisch verschuldet gilt, hängt also nicht nur von der Höhe seiner Kredite, sondern auch von seiner Wirtschaftsleistung und insbesondere den staatlichen Einnahmen (etwa durch Steuern, Devisen oder aus anderen Quellen) ab. Die aktuelle Verschärfung der Situation1 in vielen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist vor allem auf den pandemiebedingten Einbruch staatlicher Einnahmen zurückzuführen.2 Die globalen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie führten zu einer globalen wirtschaftlichen Rezession, einem Einbruch der globalen Nachfrage, des globalen Tourismus sowie einem Zusammenbrechen globaler Lieferketten. Damit einher ging – zumindest zu Beginn der Pandemie – auch ein Preisverfall primärer Rohstoffe, insbesondere von Rohöl und Edelmetallen.3,4 Für viele Länder des Globalen Südens, die hochgradig abhängig vom Export unverarbeiteter Rohstoffe oder vom Tourismus sind, bedeutete dies eine stark abfallende Wirtschaftsleistung und einen gravierenden Einbruch der Staatseinnahmen, wie am Beispiel Sambia zu sehen ist (siehe unten). Hinzu kommt in vielen Ländern des Globalen Südens ein Verfall der nationalen Währung5 sowie eine Steigerung der Preise für beispielsweise Nahrung.

Um auf diese wirtschaftlichen, aber auch auf gesundheitliche und soziale Folgen der Pandemie zu reagieren, und ihre Liquidität zu sichern, nahmen insbesondere Länder mit mittlerem Einkommen neue Schulden auf. So konnten zumindest einige dringende Investitionen in Gesundheitssysteme getätigt, Überbrückungshilfen für Unternehmen finanziert, aber auch Schuldendienste geleistet werden. Durch die Aufnahme neuer Kredite wuchs jedoch der Schuldenstand dieser Länder. Sinken zeitgleich zu steigenden Schulden wirtschaftliche Erträge und staatliche Einnahmen, droht Staaten eine Schuldenkrise.6


Sambias Zahlungsunfähigkeit

Am Beispiel Sambia werden die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf öffentliche Schulden besonders deutlich. Die Verschuldung Sambias7 war bereits vor der Pandemie kritisch (2019 beliefen sich die öffentlichen Schulden auf 97,4% des BIP), und COVID-19 verschärfte die Situation weiter (2020 betrug das Verhältnis öffentliche Schulden/BIP 128,7%), was schlussendlich zur Zahlungsunfähigkeit des Landes führte. So musste Sambia am 13.12.2020 als erstes Land aufgrund der Auswirkungen der Pandemie seine Schuldendienstzahlungen einstellen. Das Land konnte die Zinsen in Höhe von 3 Mrd. US-Dollar8 für ausstehenden Eurobonds nicht mehr bedienen und konnte mit den Anleihegläubigern keine Einigung auf ein Zinsmoratorium9 erzielen.

Sambia ist der zweitgrößte Kupferproduzent Afrikas10 und ist in hohen Maße abhängig von den Erträgen aus dem Kupferexport.11 Aufgrund der weltweiten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie (Lockdowns etc.) sank die globale Nachfrage nach Kupfer und damit auch dessen Preis drastisch. Das hatte zur Folge, dass Sambia weniger Steuereinnahmen und Devisen verzeichnen konnte, die jedoch notwendig gewesen wären, um Zinszahlungen an Gläubiger bedienen zu können.

Eine Lösung der Schuldenkrise Sambias erweist sich als komplex, da sich Sambias Schulden auf eine Vielzahl verschiedener Gläubiger12 verteilen. So entfallen nur knapp 5,3% auf bilaterale Gläubiger ohne China, die im Kontext der Pandemie zumindest grundsätzlich zu Schuldenmoratorien bereit wären. Die restlichen Schulden entfallen zu 19% auf multilaterale Gläubiger, zu 26% auf China und zu 48% auf private Gläubiger, die bislang nur zu geringen Zugeständnissen bereit sind. Aktuell nimmt Sambia ein Schuldenmoratorium der G20 (Debt Service Suspension Initaitive, DSSI) in Anspruch und beantragte im Januar 2021 zusätzlich eine Umschuldung unter dem Common Framework der G20 – das Verfahren ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Ein Abschluss wird wohl noch länger auf sich warten lassen, da das Common Framework eine Beteiligung privater Gläubiger an den Schuldenerleichterungen verlangt.


Steigende Verschuldung beeinträchtigt Krisenbewältigung

Angesichts steigender Gesundheitsausgaben und eines gleichzeitigen Wegfalls wichtiger Einnahmequellen blieb vielen Ländern des Globalen Südens nichts anderes übrig, als zusätzliche Kredite aufzunehmen – auch wenn sie bereits kritisch verschuldet waren. Um die immer größer werdenden Schuldenberge zu tilgen,13 sehen sich viele Länder gezwungen, öffentliche Ausgaben zu kürzen und Sparmaßnahmen zu implementieren. Und das in einer Zeit, in der öffentliche Investitionen zur Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie besonders wichtig wären. In Sambia, beispielsweise, fließen 8,9% des BIP in den Auslandsschuldendienst, jedoch nur 4,6% in Bildung und gerade mal 1,7% in den Gesundheitssektor. Der Schuldendienst ist also fünfmal so hoch wie die Ausgaben für das Gesundheitswesen.14 Und das in einem Land, in dem bereits vor der Krise mehr als 58% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze lebten.

Langfristig schränkt eine hohe Verschuldung auch die Fähigkeit von Staaten ein, ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber zukünftigen Krisen auszubauen. Ohne ernstzunehmende Umschuldungsmaßnahmen kann eine solche Situation schnell zu einer Negativspirale führen.15 Denn fehlende Widerstandsfähigkeit macht diese Länder anfälliger für zukünftige Krisen, seien es Pandemien, Fluten oder Dürren, und damit einhergehende Schäden. Gleichzeitig müssten sie für den Wiederaufbau nach Fluten oder Erdbeben zusätzliche Kredite zu hohen Zinsen aufnehmen: Der Schuldenberg wüchse weiter und der Handlungsspielraum der Staaten würde weiter minimiert. Hinzu kommt, dass steigende Schulden und – vor allem – nicht beglichene Zinszahlungen die Möglichkeiten von Staaten unterlaufen, sich Geld zu leihen. Geld, das gerade in Ländern des Globalen Südens dringend benötigt wird, um in den Wiederaufbau einer krisenresistenten und klimaneutralen Wirtschaft, die Stärkung von Gesundheits- und Bildungssystemen sowie die Unterstützung vulnerabler Gruppen zu investieren.  Auch die Erreichung der Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung rückt damit in weite Ferne.

Um Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen bei der Bekämpfung der COVID-19-Krise und ihrer sozialen und wirtschaftlichen Folgen zu unterstützen, gilt es deren finanziellen Handlungsspielraum zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Dafür braucht es umfassende und nachhaltige Schuldenerleichterungen und -erlässe.

1 Eurodad (15.09.2021): A debt pandemic: Impact of the crisis in developing countries

2 Eurodad (Okt. 2020): Briefing Paper. The G20 Debt Service Suspension Initiative – Draining out the Titanic with a bucket?

3,6,13 ÖFSE (2021): Macro-Economic and Financial Implications of the COVID-19 Pandemic for the Global South

4 Ab der zweiten Hälfte 2021 stiegen die Rohstoffpreise wieder. Einen Einschnitt bildet zudem der russische Einfall in die Ukraine, der die Rohstoff-Preise zum Teil explodieren ließ, das trifft insbesondere auf Weizen und Getreide zu. Da ein Großteil der Entwicklungsländer jedoch abhängig von Lebensmittelimporten ist, besteht die Gefahr, dass sich diese Länder durch teure Lebensmittelkäufe weiter verschulden. 

5 Weltsichten (30.04.2020): Wie die Weltwirtschaftskrise den Süden trifft

7 International Monetary Fund (Okt. 2021): Fiscal Monitor, October 2021: Strengthening the Credibility of Public Finances

8 Erlassjahr.de (17.11.2020): Sambia: Erste Staatspleite im Kontext der Corona-Pandemie

9 Reuters (13.11.2020): UPDATE 6-Zambia will miss Eurobond payment, setting stage for default

10 Afrodad (2016): Impacts Of Fluctuating Commodity Prices On Government Revenue In The Sadc Region The Case Of Copper For Zambia

11,12,14 Erlassjahr.de (o.D.): Sambia

15 Brot für die Welt (März 2021): Study. Climate change, Debt and COVID-19


Download

AG Globale Verantwortung (Apr. 2022): Briefingpapier: Von der Coronakrise in die Schuldenkrise. Warum die Coronakrise auch die Schuldenkrise im Globalen Süden verschärft und welche Lösungsansätze es gibt


Links

(Ilona Reindl und Gabriel Eyselein, in Zusammenarbeit mit dem VIDC)