Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Umfrage
Wir haben Anfang Mai gefragt, wie Menschen in Österreich die Arbeit von NGOs aus den Bereichen internationale Entwicklung, Humanitäre Hilfe und entwicklungspolitische Inlandsarbeit wahrnehmen. Die Ergebnisse zeigen einen deutlichen Perception Gap zwischen dem Interesse, das sie selbst an den abgefragten Themen bzw. Werten haben, und dem Interesse, das sie der österreichischen Politik und Bevölkerung an diesen zuschreiben.
Die sich gegenseitig verstärkenden Krisen der letzten Jahre – allen voran Kriege und Konflikte, die Klima- und Umweltkrise sowie Gesundheits- und Schuldenkrisen – haben erneut den Hunger, die Armut und die Ungleichheiten weltweit befeuert. Nach Jahrzehnten entwicklungspolitischer und humanitärer Erfolge steigt die Anzahl der Menschen, deren Überleben und Zukunftschancen von der Unterstützung durch internationale Entwicklung und Humanitäre Hilfe abhängen, wieder stark an.
Die verschärfte geopolitische Lage stellt NGOs und andere zivilgesellschaftliche Organisationen vor zusätzliche Herausforderungen. Die USA, die Niederlande, Schweden und Großbritannien kürzten bereits ihr interationales Engagement zugunsten von wirtschafts-, sicherheits- und migrationspolitischen Eigeninteressen. Und auch die neue österreichische Bundesregierung hat den Sparstift gezückt. Zudem setzen autoritäre Tendenzen die Zivilgesellschaft in vielen Ländern zunehmend unter Druck. In immer mehr Konfliktgebieten behindern Konfliktparteien humanitäre Hilfsorganisationen dabei, gefährdete Menschen gemäß dem Humanitären Völkerreicht und den humanitären Prinzipien Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit zu unterstützen.
Vor diesem Hintergrund wollten wir erfahren, welche Wahrnehmung Menschen in Österreich von der Arbeit österreichischer NGOs im Bereich internationale Entwicklung, Humanitäre Hilfe und entwicklungspolitische Inlandsarbeit (z.B. Bildungsangebote zu globalen Themen in Österreich) haben. Unsere Mitgliedsorganisationen und ihre lokalen Partnerorganisationen ermöglichen mit jährlich über 1.000 Projekten Zukunftschancen für benachteiligte und gefährdetete Menschen in 120 Ländern der Welt.
Wir freuen uns, dass 84 Personen im zehntägigen Befragungszeitraum Anfang Mai 2025 an der Umfrage auf MS Teams teilnahmen. Zu Beginn baten wir die Teilnehmer*innen, Aussagen auszuwählen, die auf sie zutrifft. Auf Basis dieser Selbstzuschreibungen haben wir sie in Akteur*innen aus dem Bereich der internationalen Entwicklung, Humanitären Hilfe und entwicklungspolitischen Inlandsarbeit (Gruppe B), in Nicht-Akteur*innen (Gruppe A) und in Stakeholder*innen aus dem Bereich (Gruppe C) unterteilt (Details siehe Auswertung).
Nach einer kurzen Abfrage zu ihrer Person (siehe Selbstzuschreibungen in der Tabelle) stellten wir je fünf gleichlautende Fragen zu 10 Themen bzw. Werten, die in unserer Arbeit zentral sind. Konkret fragten wir jeweils auf einer Skala von 1 (= sehr niedrig) bis 5 (= sehr hoch),
Die Teilnehmer*innen dieser Umfrage sprechen allen abgefragten Themen und Werten eine hohe Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit zu, und zwar zwischen 3 und 5 auf der fünfstufigen Skala. Das entspricht dem Umstand, dass Menschen tendenziell eher an Online-Umfragen zu ihren eigenen Interessensgebieten teilnehmen. Die Ergebnisse der Gruppe C (Stakeholder*innen, linierte Kreise) sind allerdings wenig aussagekräftig, da nur 4 Teilnehmer*innen dieser Gruppe zuzuordnen sind.
Im Durchschnitt schätzen es die Befragten aller Gruppen als besonders wirksam und glaubwürdig ein, dass sich NGOs der internationalen Entwicklung, Humanitären Hilfe und entwicklungspolitischen Inlandsarbeit für (5) Stabilität und Frieden, (7) Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sowie (8) Faire Wirtschaftsbeziehungen einsetzen.
Am wenigsten Zuspruch erhält die Auseinandersetzung mit (6) Flucht, Vertreibung und Migration.
Zudem ist festzuhalten, dass die Antworten der Befragten aller Gruppen auf einen Perception Gap hindeuten: Sie gehen davon aus, dass ihr eigenes Interesse (hellgrün) an einem abgefragten Thema oder Wert viel höher im Vergleich zum Interesse der österreichischen Politik (gelb) und Bevölkerung (dunkelgrün) ist. Diese verzerrte Wahrnehmung spiegelte sich beispielsweise auch in einer internationalen Studie zur Klimakrise wider,[1] die zum Ergebnis kam, dass entgegen der Annahme der einzelnen Befragten insgesamt 89% strengere Klimaschutzmaßnahmen von der Politik fordern. Es ist anzunehmen, dass es auch in diesem Sektor einen Perception Gap gibt, da laut einer aktuellen deutschen Studie 63% der Befragten das staatliche Engagement in der internationalen Entwicklung und 72% das in der Humanitären Hilfe befürworten.[2]
Nur bei (5) Stabilität und Frieden, (6) Flucht, Vertreibung und Migration und (7) Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte schätzen die Teilnehmer*innen das Interesse von Politik und Bevölkerung im Durchschnitt höher als 3 ein. Hingegen ist lediglich bei den Befragten der Gruppe A (Nicht-Akteur*innen, gefüllte Kreise) das eigene Interesse an (2) Internationaler Zusammenarbeit bzw. Partnerschaften, (8) Fairen Wirtschaftsbeziehungen und an einer (9) Widerspruchsfreien Politik im Durchschnitt niedriger als 4.
Weltweite Solidarität bedeutet für uns, dass die österreichische Bundesregierung und Menschen aus der Bevölkerung für benachteiligte und gefährdete Menschen in Ländern des Globalen Südens oder in Krisengebieten einstehen und auch in deren Interesse handeln. Sie erkennen an, dass alle Menschen die Bewohner*innen einer Welt sind, weshalb Österreich eine globale Verantwortung über die Landesgrenzen hinaus hat.
Diese geht Österreich bilateral mit anderen Ländern und multilateral über internationale Organisationen (z.B. UNO) ein. Zusammenarbeit bedeutet, dass die Beteiligten Vorteile (z.B. durch Handelsbeziehungen), aber auch Pflichten haben (z.B. 0,7% des jährlichen Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfeleistungen in Ländern des Globalen Südens bereitzustellen). Abkommen, Konventionen, etc. regeln die Zusammenarbeit. Eine Partnerschaft setzt im Gegenzug nicht voraus, dass alle Beteiligten profitieren.
Soziale Gerechtigkeit bedeutet für uns, dass sich die österreichische Bundesregierung (aber auch Menschen aus der Bevölkerung in ihrem Wirkungsbereich) für den weltweiten Abbau von Armut sowie Ungleichheiten einsetzen und diesen nicht anderweitig blockieren, etwa durch ihre wirtschaftlichen Zielsetzungen oder Konsumentscheidungen. Ein gerechter Wandel zielt darauf ab, das Wohlbefinden aller Menschen zu steigern – sowohl von derzeitigen als auch von zukünftigen Generationen.
Ökologische Gerechtigkeit bedeutet für uns, dass sich die österreichische Bundesregierung (aber auch Menschen aus der Bevölkerung in ihrem Wirkungsbereich) zum Beispiel für eine weltweite Reduktion klima- und umweltschädlicher Emissionen einsetzen. Menschen in Ländern des Globalen Südens (ca. 80% der Weltbevölkerung) sind nur für 8% der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich (Stand 2022), aber gleichzeitig am härtesten von Erderhitzung und klimabedingten Katastrophen betroffen. Klimaschutz sowie der Erhalt von Lebensräumen und Biodiversität setzen daher voraus, dass wohlhabende Länder die am meisten betroffenen Länder dabei unterstützen, weitere Schäden durch die Klima- und Umweltkrise abzuwenden, Verluste auszugleichen und notwendige Anpassungsmaßnahmen zu treffen.
Österreich kann in Ländern des Globalen Südens und in Krisengebieten zu sozialer Ordnung, Stabilität und Frieden durch Diplomatie beitragen, aber auch durch die Förderung menschlicher Sicherheit. Diese umfasst nicht nur militärische Aspekte, sondern auch Ernährungssicherheit, gesundheitliche Sicherheit, Umweltsicherheit, wirtschaftliche Sicherheit sowie gesellschaftliche und persönliche Sicherheit.
Im Jahr 2023 gab es laut UNHCR 117 Millionen vertriebene Menschen auf der Welt; fast doppelt so viele wie 2014. Allerdings konnten 58% dieser Menschen in ihrer Region bleiben. Österreich kann dazu beitragen, dass Menschen in Ländern des Globalen Südens Zukunftschancen haben.
Die österreichische Bundesregierung und Menschen aus der Bevölkerung können sich in ihrem jeweiligen Wirkungsbereich für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen. Zum Beispiel kann sich jede*r zivilgesellschaftlich engagieren und sich dafür stark machen, dass andere ihr Wahlrecht in Anspruch nehmen. Die Regierung kann wiederum ihre internationale Zusammenarbeit und Partnerschaften an Bedingungen knüpfen, sodass diese Werte auch in den Partnerländern gefördert werden.
Das Exportland Österreich profitiert von internationaler Zusammenarbeit. Nicht nur Waren sind gefragt, sondern auch österreichische Dienstleistungen und Know-how.
Eine widerspruchsfreie Politik bedeutet für uns, dass die österreichische Bundesregierung Interessen und Maßnahmen, welche Länder des Globalen Südens an einer nachhaltigen Entwicklung hindern, beendet oder so anpasst, dass sie eine weltweite nachhaltige Entwicklung fördern. Dieser Ansatz, auch Politikkohärenz im Interesse nachhaltiger Entwicklung genannt, kann nur dann erfolgreich zum weltweiten Abbau von Armut und Ungleichheiten beitragen, wenn er in allen Politikbereichen angewandt wird (z.B. in der Handels-, Rohstoff-, Steuer-, Agrar- und Migrationspolitik).
Die Zivilgesellschaft ist eine Schlüsselakteurin für weltweiten Frieden und Stabilität sowie im Kampf gegen Krisen, Hunger, Armut und Ungleichheiten. Darüber hinaus erfüllt sie wichtige demokratische und soziale Funktionen, auch in Österreich. Im Jahr 2024 unterstützte die österreichische Bevölkerung deren Arbeit mit über einer Milliarde Euro, davon 258 Millionen Euro für Zwecke der „internationalen Hilfe“.Doch schrumpft der weltweite Handlungsspielraum der Zivilgesellschaft seit vielen Jahren. Laut Civicus lebten gar 97,9% der Weltbevölkerung in Ländern, in denen die Zivilgesellschaft nur eingeschränkt handeln, sich organisieren und frei äußern kann (Stand 2024).
[1] Peter Andre et al. (2024): Globally representative evidence on the actual and perceived support for climate action. In: Nature Climate Change 14, pp 253–259. Abgerufen unter: https://www.nature.com/articles/s41558-024-01925-3, Zugriff am 02.06.2025
[2] DEval (2024): Der DEval-Meinungsmonitor 2024. Abgerufen unter https://www.deval.org/de/evaluierungen/laufende-und-abgeschlossene-evaluierungen/der-deval-meinungsmonitor-entwicklungspolitik/der-deval-meinungsmonitor-entwicklungspolitik-2024, Zugriff am 02.06.2025
(hh)