Im Vertrag von Lissabon – Artikel 208 ’Policy Coherence for Development (PCD)’ – verpflichtet sich die EU zur Bekämpfung von Armut in Entwicklungsländern. Gemäß Artikel 208 müssen politische Ziele, Inhalte und Programme auf EU Ebene zur Unterstützung der Bedürfnisse von Entwicklungsländern beitragen oder dürfen zumindest nicht dem Ziel der Armutsbekämpfung widersprechen.

PCD ist ein wesentliches komplementäres Instrument, welches in Kombination mit entwicklungspolitischen Maßnahmen maßgeblichen Einfluss auf nachhaltige Entwicklung, Armutsbekämpfung und Achtung der Menschenrechte haben kann. CONCORD begrüßt die Bestrebungen, die bis dato von Seiten der EU in diese Richtung gemacht wurden, fordert jedoch eine Überarbeitung aller nicht kohärenten Ziele, Inhalte und Programme. Durch eine solidere und korrektere Umsetzung der PCD in allen Bereichen der EU- Politik ist es möglich, die Lebenssituation von Millionen von Menschen in Entwicklungsländern zu verbessern.

Der Bericht von CONCORD beschäftigt sich sowohl mit dem institutionellen Rahmen, als auch mit vier thematischen Schwerpunkten – Ernährungssicherung, Rohstoffvorkommen, Sicherheit und Migration

 
Institutioneller Rahmen

PCD ist eine politische Verbindlichkeit, dementsprechend ist kontinuierlicher politischer Willen notwendig, um diese Verbindlichkeit auch in angemessene politische Entscheidungen umzuwandeln. Während der Präsident der Europäischen Kommission als ‚Hüter des Vertrages’ agiert,  kommt dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament die Aufgabe zu, seine legislative Macht hinsichtlich der Entwicklungsziele in verantwortungsvoller Weise auszuüben. Weiters sind zur systematischen Umsetzung der PCD adäquate institutionelle Einrichtungen sowie Instrumente und Mechanismen zur Politikgestaltung erforderlich. Dazu zählen derzeit laufende Impact-Assessments, die Position des ‚Ständigen Berichterstatters des Europäischen Parlaments bezüglich PCD (European Parliament Standing Rapporteur on PCD) und die des EU Ombudsmann.

Es bedarf jedoch noch einiger Verbesserungen:
 

  • Klärung der inhaltlichen Kompetenzen von Gremien und Institutionen hinsichtlich ihres Beitrags zu PCD
  • Stärkung der entsprechenden Kapazitäten in den EU-Institutionen und Mitgliedstaaten
  • Einbeziehung der Menschen in den Entwicklungsländern, die unter dem Mangel an Kohärenz leiden

 
Ernährungssicherheit

Weltweit hungern derzeit 925 Millionen Menschen. Das Recht auf einen gefahrlosen Zugang zu Nahrungsmitteln ist ein universelles Menschenrecht. Gerade die EU als weltweit größte Akteurin im Agrarhandel trägt dabei eine besondere Verantwortung.

Die Reform der gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) stellt für die Union eine entscheidende Gelegenheit dar, ihre Bereitschaft zu demonstrieren, den Entwicklungsländern den Weg zur Selbsthilfe zur Ernährungssicherheit zu erleichtern. Dies erfordert einen Prozess des Umdenkens, steigende globale Nachfrage nach Lebensmittel darf nicht weiterhin als Legitimation für die Subventionierung europäischer Exporte dienen.

Um Preisstabilität für Nahrungsmittel in Entwicklungsländern zu ermöglichen, muss die EU auf eine Optimierung der internationalen Politikgestaltung im Bereich der Ernährungssicherheit sorgen (Marktregulierungen, Pufferbestände an Lebensmitteln etc). In EU-Politiken, die globale Trends, wie illegale Landnahme (land-grabbing) zulassen oder gar fördern, müssen zwingend  Nachhaltigkeitskriterien einfließen, die soziale und umweltbezogene Aspekte abdecken.

Natürliche Ressourcen

Unter den ärmsten Ländern der Welt befinden sich auch viele, die reich an Ressourcen sind, den Menschen vor Ort kommt der natürliche Reichtum ihres Landes aber nicht zu Gute. Die EU gehört zu jenen AkteurInnen, die aggressive Strategien verfolgen, um sich Zugang zu Ressourcen in Entwicklungsländern zu verschaffen. Bei der EU-Politikgestaltung muss daher verpflichtend sichergestellt werden, dass politische Maßnahmen bezüglich Importen aus Entwicklungsländern, Entwicklungsziele nicht untergraben und auch nicht zu menschlichem Leiden oder zur Verletzung der Menschenrechte beitragen.

Gerade die EU Richtlinien für Erneuerbare Energien (EU Renewable Energy Directive, RED) aber auch die EU Rohstoff-Initiative (EU Raw Materials Initiative) stellen Herausforderungen im Rahmen der Entwicklungsziele dar. Ein Mindestanteil von 10% an erneuerbaren Energien im Verkehrssektor ist vorgesehen. Diese Richtlinie führt zwangsläufig zur Ausweitung von Anbauflächen für Agrotreibstoffe in Entwicklungsländern, da die in Europa zur Verfügung stehenden Anbauflächen nicht ausreichen, um die benötigte Menge an Agrotreibstoffen aus eigener Produktion zu decken.

Bei der EU Rohstoff-Initiative wiederum fehlt es an Anreizen für Entwicklungsländer, sich im Prozess der Rohstoffgewinnung zu beteiligen. Hier sollte die EU fördernd eingreifen, es bedarf mehr Transparenz hinsichtlich der Finanzströme von multinationalen Unternehmen an Regierungen.

Sicherheit der Menschen (Human Security)

Grundlegend für die Sicherheit des Menschen ist das fundamentale Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und die Abwesenheit von Leben verkürzenden, vermeidbaren Rahmenbedingungen. In der EU Sicherheits- und Entwicklungsagenda wird festgeschrieben, „dass keine nachhaltige Entwicklung ohne Frieden und Sicherheit stattfinden kann, und dass es ohne Entwicklung und Armutsbekämpfung keinen dauerhaften Frieden geben kann.“ Bislang gab es jedoch nur wenige Bestrebungen zur praktischen Umsetzung von politischen Maßnahmen in diese Richtung.

Die Sicherheitspolitik vieler EU Mitgliedsstaaten zeigt deutliche Differenzen zwischen wirtschaftlichen und/oder sicherheitsbezogenen Eigeninteressen und der PCD. Die Verbesserung der eigenen ökonomischen- und Sicherheits- Interessen sollte nicht zu Lasten der Partnerländer und deren Bevölkerung gehen. Um Leid zu vermeiden und langfristigen Frieden aufzubauen müssen die politischen Maßnahmen der EU mehr Sensibilität in Konfliktsituationen (’conflict-sensitive’) aufweisen und einen langfristigen präventiven Ansatz verfolgen. Trotz einer Stellungnahme des Rates aus dem Jahr 2008 sind EU Waffenexporte Menschenrechts- verachtende Regime weiterhin Realität. Angemessene Mechanismen müssen geschaffen werden, damit die Kontrolle der Exporte von Militärtechnologie und Ausrüstung, in Übereinstimmung mit der Verpflichtung zur PCD, garantiert ist.

 Migration

Migrationsfragen stehen bereits seit einiger Zeit im Zentrum der Debatten der EU-Politik. In der EU residieren derzeit ca. 31,8 Millionen MigrantInnen. In vielen EU Initiativen zur Steuerung der Migrationsströme wird der Fokus häufig auf die Realisierungen der einseitigen wirtschaftlichen Ziele der EU gelegt, ohne das volle Potential von Migration und Entwicklung zu erfassen. Dieses würde jedoch nicht nur den MigrantInnen selbst zu Gute kommen, sondern auch dem Ziel- und Herkunftsland.

Die EU-Migrationspolitik wird vom ’EU Global Approach to Migration’ gesteuert. Dieser restriktive Zugang berücksichtigt keine entwicklungsbezogenen Auswirkungen und Anforderungen der Menschenrechte. Menschenwürdige Arbeit und Arbeitnehmerfragen sind bedeutende Faktoren, die EU- Migrations- und Integrationspolitiken ausführlicher und in Angleichung an die PCD Verpflichtung behandeln müssen. Die Umsetzung des sozialen und rechtlichen Schutzes von MigrantInnen muss außerdem sowohl in der EU als auch weltweit verbessert werden. Zu diesem Zweck sollte die EU ihren internationalen Einfluss zur Förderung internationaler Standards zum Schutz von ArbeitsmigrantInnen einsetzen. Die EU Mitgliedsstaaten müssen ebenfalls die Internationale UNO-Konvention zum Schutz der ArbeitsmigrantInnen und ihrer Familien (’UN International Convention for the Protection of Migrant Workers and their families’) unterzeichnen, ratifizieren und umsetzen.

ergänzende Concord-Papiere: