Das “Enabling Environment”, das begünstigende Umfeld, das zivilgesellschaftlichen Organisationen ermöglicht erfolgreich (politisch) aktiv zu sein, wird vielerorts zu einem „Disenabling Environment“. Also zu einem Umfeld, das zivilgesellschaftliches Arbeiten durch bürokratische, politische und finanzielle Beschränkungen erschwert. Indem Restriktionen vermehrt in Gesetzen festgeschrieben werden, wird es AkteurInnen der Zivilgesellschaft immer schwerer gemacht, nachhaltigen gesellschaftlichen Wandel voranzutreiben.

Eine starke Zivilgesellschaft – ein Dorn im Auge vieler Regierungen

Vor diesem Hintergrund hat die AG Globale Verantwortung im Februar den Workshop „Shrinking space for civil society? An enabling environment for civil society organisations“ veranstaltet. Oli Henman, europäischer Vertreter von CIVICUS, strich dort ebenfalls die zunehmenden Restriktionen und verschärften Gesetzgebungen für die Arbeit von NGOs hervor. Budgetkürzungen, beschränkte Förderungen aus dem Ausland, Registrierungshürden und weniger Zulassungen von Aktionen und Protesten sind einige der Folgen.

Vom vermehrten Eingreifen in zivilgesellschaftliches Handeln durch Regierungen oder Unternehmen und der Verfolgung friedlicher (Menschenrechts-)AktivistInnen berichtet auch der State of Civil Society Report 2015 von CIVICUS. In 96 Ländern wurden demnach zivilgesellschaftliche Rechte, vor allem die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit sowie die Meinungsfreiheit, verletzt – zunehmend auch durch Konzerne, die um die Aufdeckung unethischer Wirtschaftspraktiken fürchten. „When citizens´ most basic rights are being violated in more than half the world´s countries, alarm bells must start ringing for the international community leaders everywhere”, schließt Dhananjayan Sriskandarajah, Generalsekretär von CIVICUS.

Auf der anderen Seite, so Henman, könne diese Verschlechterung auch als Zeichen einer stärker werdenden Zivilgesellschaft gesehen werden: Regierungen wie jene der Ukraine oder Ägypten fühlen sich bedroht und greifen zu strengeren Gesetzen oder Budgetkürzungen, um Auflehnungen und kritische Stimmen der Gesellschaft im Zaum zu halten.

Frauen sind überproportional betroffen

Im Rahmen des Workshops berichteten Juana Aydas Villareyna Acuña und Maria Isabell Zamora Muñoz der nicaraguanischen NGO FEM davon, wie die Unterdrückung der Frauen in Nicaragua zur Gründung der NGO geführt hat. Das politische Klima schüre bei vielen (Frauen) jedoch die Angst vor Konsequenzen und halte sie davon ab, sich zivilgesellschaftlich zu engagieren und andere zu mobilisieren.

Auch ein aktueller Bericht von ActionAid zeigt, dass die Abnahme zivilgesellschaftlicher Rechte und Handlungsspielräume besonders Frauen trifft. Eine schwache Zivilgesellschaft, zunehmende Ungleichheit und religiöse Fundamentalismen erschweren den Widerstand gegen Gewalt und Unterdrückung. Dabei sind Frauen gerade in Ländern mit einer strukturschwachen Zivilgesellschaft (sexueller) Gewalt ausgesetzt.

Sicherheitspolitik auf Kosten zivilgesellschaftlicher Freiheiten

Auch das ISHR (International Service for Human Rights) befasst sich mit jenen, die gegen ein „disenabling environment“ kämpfen: In einem Video porträtiert das ISHR Personen, die zur Verteidigung der Menschenrechte mit der UN kooperiert haben und dafür mit einem hohen Preis und manchmal mit ihrem Leben bezahlten. Es zeigt z.B. den Fall der chinesischen Menschenrechtsaktivistin Cao Shunli, die starb, nachdem ihr in Haft infolge ihrer Beteiligung am UN Universal Periodic Review medizinische Behandlung verweigert worden war.

Die Beispiele im Video verdeutlichen, wie Regierungen im Namen der „Terrorbekämpfung“, „nationalen Sicherheit“ oder „öffentlichen Ordnung“ zivilgesellschaftliche Handlungen unterbinden und ihr Eingreifen politisch legitimieren können. Solange die politischen Kosten für Regierungen, die gegen MenschenrechtsverteidigerInnen vorgehen, gering sind, zahlen sich Vergeltungsschläge gegen diese und ihre Familien aus, so Michael Ineichen vom ISHR. Daher müsse deren Schutz erhöht werden.

Feindbild NGO

Neben Kambodscha übt sich auch China in der Überwachung der Tätigkeiten ausländischer und chinesischer NGOs. Mit einem neuen „Gesetz über die Verwaltung ausländischer NGOs“ sei die chinesische Regierung momentan dabei, von der Kontrolle der Zivilgesellschaft zum Angriff überzugehen, so DIE ZEIT und nennt das Gesetz einen „Freibrief für Kontrolle und Schikane“. In dem Artikel „Agenten der Freiheit“ schildern die AutorInnen, wie NGOs überall auf der Welt ins Visier der Mächtigen geraten, die hart daran arbeiten, diese als Feindbild an die Wand zu malen. Woran sich die (autoritären) Regierungen stoßen, sind die Bestrebungen von NGOs und aktiven BürgerInnen nach universellen Werten wie Freiheit und Teilhabe sowie der Widerstand gegen staatliche Wirtschafts- und Entwicklungsprojekte. Auch in Demokratien wie Indien, Ungarn und Spanien ist diese Entwicklung zu beobachten, die immer mehr NGOs zum Aufgeben bringt. Zunehmend richten sich Repression und Einschüchterung nicht mehr nur gegen NGOs, die zu kontroversiellen Themen arbeiten. Besonders betroffen sind heute NGOs, die in Umweltfragen und dem Schutz von Landrechten tätig sind, berichtet das ISHR.

Die AutorInnen des ZEIT-Artikels diagnostizieren eine „anti-emanzipatorische, teilhabefeindliche Offensive, die weit über die Bedeutung einzelner NGOs hinausgeht“.

Und wie weiter?

Vor dem Hintergrund des abnehmenden Raumes der Zivilgesellschaft wächst die Bedeutung der Zusammenarbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen – auf nationaler und internationaler Ebene. Grassroots-Organisationen sollten in und mit internationalen Netzwerken kooperieren, um die Erfolge zivilgesellschaftlicher Arbeit öffentlich sichtbar zu machen. Aber auch Bewusstseinsbildung zu bestehenden (Menschen)Rechten, verstärkter Druck auf Regierungen und ein besseres „Funding Environment“ für NGOs sind wichtige Schritte auf dem Weg hin zu einem wieder „befähigenderen“ Umfeld, schlussfolgerten die TeilnehmerInnen des Workshops.

Anstatt auf zivilgesellschaftliche Probleme (in Partnerländern) nur zu reagieren, sollte proaktiv gegen den Trend des „shrinking space for civil society“ angegangen werden, betont auch das ISHR. Denn wenn die positiven Auswirkungen des zivilgesellschaftlichen Handelns sichtbarer werden, kann auch auf durchaus berechtigte Sorgen in Ländern, die beispielsweise aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit die Einmischung von außen ablehnen, geantwortet werden. Daher sei es mehr denn je erforderlich, alle AkteurInnen und Sektoren (politische, wirtschaftliche und den Bankensektor) in die Debatten um den Raum für Zivilgesellschaft einzubeziehen, um zu verhindern, dass zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume unter dem Deckmantel der Einhaltung von Sicherheits- oder anderen Standards beschnitten werden.


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(ck)