„Schon zwei Wochen vor Beginn der vierten internationalen Entwicklungsfinanzierungskonferenz im spanischen Sevilla kennen wir deren Ergebnis. Zwar ist es positiv, dass sich die internationale Staatengemeinschaft auf ein Abschlussdokument einigen konnte. Allerdings verwässerten die Verhandler*innen viele engagierte Ansätze. Der Compromiso de Sevilla enthält vor allem unverbindliche Empfehlungen statt tiefgreifender Reformen für eine gerechte, inklusive und kohärente Wirtschafts- und Finanzarchitektur. Und auch dieser Kompromiss war nur möglich, weil sich die USA im letzten Augenblick zurückzogen“, analysiert Martina Neuwirth, Steuer- und Wirtschaftsexpertin des VIDC, die als Mitglied der österreichischen Delegation und zivilgesellschaftliche Expertin an der Konferenz teilnimmt.

Die vierte Financing for Development-Konferenz (FfD4) von 30. Juni bis 3. Juli biete angesichts der globalen Krisenspirale und der wachsenden Finanzierungslücke eigentlich eine große Chance. Die Staatengemeinschaft könnte den Ländern des Globalen Südens endlich den gebührenden Platz auf den internationalen Verhandlungstischen einräumen und dadurch den Multilateralismus verbessern, betont Karin Kuranda, entwicklungspolitische Fachreferentin der AG Globale Verantwortung, die ebenfalls an der Konferenz teilnimmt. Auch die Einbindung von Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft können nur die Vereinten Nationen gewährleisten. Doch insbesondere die gewählte Sprache enttäusche, erklärt Kuranda: „Das Abschlussdokument zeigt, dass die EU und andere Geberländer wie Australien, Kanada, Japan, Neuseeland, die Schweiz und Großbritannien nicht bereit sind, gleichberechtigte Verhandlungen für Länder des Globalen Südens zu ermöglichen.“

Globaler Norden bremst bei UN-Schuldenkonvention

Hinsichtlich der geforderten UN-Schuldenkonvention sehe das Abschlussdokument statt eines Bekenntnisses nur einen Prozess mit unverbindlichen Empfehlungen vor. „Das ist ein ungenügendes Mandat für einen Prozess auf UN-Ebene, der Gerechtigkeit und Transparenz schaffen soll. Wegen der eskalierenden globalen Krisen spitzt sich auch die weltweite Schuldenkrise zu. Denn Sparmaßnahmen aufgrund der Schuldenlasten hindern Länder des Globalen Südens an wichtigen staatlichen Ausgaben, etwa im Gesundheits-, Bildungs- und Sozial und Klimaschutzbereich. Dies gefährdet auch die Umsetzung der Agenda 2030 sowie die Einhaltung von Menschenrechten“, so Hannah Angerbauer, entwicklungspolitische Referentin der Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz (KOO). Auch die EU lasse damit Milliarden Menschen im Stich. Sie habe Vorschläge für den UN-Schuldenkonventionsprozess immer wieder abgeschwächt.

Internationale Entwicklungsfinanzierung weiterhin auf wackligen Beinen

„Das Abschlussdokument ist eine vertane Reformchance für eine internationale Finanzarchitektur, die den Bedürfnissen von Menschen in Ländern des Globalen Südens und in weltweiten Krisengebieten tatsächlich gerecht wird. So betont es zwar die Bedeutung der öffentlichen Entwicklungshilfeleistungen (Official Development Assistance, ODA), doch fehlen weiterhin rechtlich verbindliche Zusagen für die internationale Entwicklung und Humanitäre Hilfe. In Zeiten von Haushaltskürzungen stehen also ausgerechnet jene Bestandteile der ODA auf wackligen Beinen, die benachteiligten und gefährdeten Menschen Zukunftschancen geben und im Ernstfall Leben retten. Vor diesem Hintergrund bleiben die Verhandler*innen Lösungen für die drängendsten Herausforderungen unserer Zeit schuldig”, ist Karin Kuranda empört.

Bekenntnis zu UN-Steuerkonvention erfreulich

„Im Gegensatz dazu wollen die Verhandler*innen die bereits laufenden Verhandlungen über eine neue UN-Steuerkonvention weiter unterstützen. Im Abschlussdokument treten sie für progressive, geschlechter- und klimagerechte Steuersysteme ein. Sie bekennen sich zu mehr Steuertransparenz sowie zu einer fairen Besteuerung von Unternehmen und der Reichsten der Welt. Insbesondere die Regierungen der EU-Länder, die dem Prozess bisher eher abwartend gegenüberstanden, sind gefragt, dieses Versprechen in der nächsten Verhandlungsrunde Anfang August 2025 einzulösen“, freut sich Martina Neuwirth.

„Wir begrüßen, dass auch die österreichische Außenministerin Beate Meinl-Reisinger an der Konferenz teilnehmen wird. Als UN-Standort und möglicher Kandidat für einen temporären Sitz im UN-Sicherheitsrat trägt Österreich auch eine besondere globale Verantwortung. Trotz des müden Abschlussdokuments sind wir davon überzeugt, dass die FfD4-Konferenz den Weg für Veränderungen in der Wirtschafts- und Finanzarchitektur sowie in den multilateralen Beziehungen bereiten kann. Ein faires System ist keine Sache von Wohltätigkeit, sondern von Gerechtigkeit. Dafür werden wir uns als Teil einer starken Zivilgesellschaft in Sevilla einsetzen“, schließen Martina Neuwirth und Karin Kuranda.

Bei Interesse an einem Interview oder weiterführenden Informationen wenden Sie sich bitte an:

Martina Neuwirth
Steuer- und Wirtschaftsexpertin des Vienna Institute for Dialogue and Cooperation (VIDC)
neuwirth@vidc.org

Für Karin Kuranda:
Hannah Hauptmann
Referentin für Presse und Öffentlichkeitsarbeit der AG Globale Verantwortung
presse@globaleverantwortung.at
+43 699/17 20 42 07