Menschenrechtspolitik
Das Recht auf angemessene Ernährung ist ein Menschenrecht, festgeschrieben in Artikel 25 der UN-Resolution 217 A (III) sowie in den Artikeln 2 und 11 des Internationalen Pakts über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte. Der UN-Sozialausschuss 1999 definiert die Verpflichtungen der Ver-tragsstaaten, die sich aus diesem Recht ergeben. Darunter befindet sich „die Pflicht, unter Mobilisie-rung aller Ressourcen in fortschreitender Weise den Zugang zu Nahrung für alle zu gewährleisten.“

Der neue Vertrag über die Europäische Union artikuliert die Verantwortung der EU explizit: „In ihren Beziehungen zur übrigen Welt […] leistet [die EU] einen Beitrag […] zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte, […].“ Und es heißt, dass „[die] Union auf die Kohärenz zwischen den einzelnen Bereichen ihres auswärtigen Handelns sowie zwischen diesen und ihren übrigen Poli-tikbereichen [achtet]“. Auch im Vertrag von Lissabon ist die Kohärenz aller Politikfelder zur EU-Entwicklungspolitik – deren Ziel die Bekämpfung von Armut und Hunger ist – gefordert.

Trotz umfassend dokumentierter Bekenntnisse leidet mehr als ein Drittel aller Staaten unter Defiziten in der Sicherstellung der Ernährung ihrer Bevölkerung. Ein Menschenrecht ohne Biss – im Wortsinn.

3 Beispiele, wie die Politik der Industriestaaten das Recht auf angemessene Ernährung ausblendet:

Agrarpolitik
Die Industrienationen sind längst nicht mehr in der Lage, den Bedarf an agrarischen Produkten auf ihren eigenen Flächen anzubauen. Diese Flächen werden in Entwicklungsländern billig eingekauft (und nicht nur für die Landwirtschaft: Land hat hohen Spekulationswert und zieht alle Arten von Inves-toren an, die es nicht produktiv nutzen). Monokulturen an Futtermitteln – die EU importiert jährlich 25 Mio. Tonnen – und Agrartreibstoffen zerstören dort Regenwälder und heizen die Emission von Treibhausgasen an; sie verbrauchen Flächen, die für die Produktion von Lebensmitteln benötigt würden und beuten Wasserreserven aus. Das Viehfutter brauchen wir dringend, denn unsere Nachfrage nach Fleisch ist enorm. Weniger beliebte Stücke, wie Hühnerflügerl, werden zu niedrigen Preisen in Ent-wicklungsländer „entsorgt“.

Dumping hat viele Gesichter, vor allem seit direkte Exportsubventionen zurückgenommen werden: „nicht standardgemäße“ Produkte können unter den Herstellungskosten verkauft werden; multinatio-nale Supermärkte unterbieten spielend lokale Anbieter; der Absatz von Hochpreisprodukten auf Se-kundärmärkten, um die Preise am Primärmarkt zu stabilisieren, ist ein Klassiker; und natürlich die Flächenprämien für die EU-Bauern, die so unter den Realkosten produzieren und verkaufen können. Dumping führt in jedem Fall zu einer hochgradigen Destabilisierung der landwirtschaftlichen Produkti-on und Ernährungssicherheit in Entwicklungsländern, deren Märkte mit Billigimporten nicht konkurrie-ren können. Kleinbäuerinnen und –bauern, die wesentlich zur Ernährungssicherung in Entwicklungs-ländern beitragen, werden von ihrer Existenzgrundlage abgeschnitten und zu Hilfsempfängern degra-diert.

Klimapolitik
Die Industriestaaten sind Hauptverursacher des Klimawandels, Entwicklungsländer die Leidtragenden. Im Copenhagen Accord (2009) wurde vereinbart, die Kosten für die verursachten Schäden und eine finanzielle Unterstützung von Entwicklungsländern zu übernehmen. In der Umsetzung der Zusage, 40 Mio. € Anschubfinanzierung für das Jahr 2010 einzubringen, beweist sich Österreich als Anrechnungsweltmeister: Kein einziger zusätzlicher Euro wurde aufgebracht, sondern in ohnehin bestehenden Budgets wurden jene Anteile als Beitrag Österreichs „dargestellt“, die dem Thema Klima irgendwie zurechenbar sind.

Klimapolitik ernst nehmen hieße auch den Treibgasausstoß bis 2020 um 40% zu reduzieren, nicht mit Zertifikatschwindel zu tricksen und von der Unterstützung ökologisch bedenklicher Technologien wie Carbon-Capture-and-Storage und der Agrotreibstoffproduktion abzusehen. Hingegen werden Ratifizierungen internationaler Abkommen verschleppt und Beschlüsse vereitelt, nicht nur von Österreich. Die Rechnung bezahlen wir später – in Form von Spenden an Opfer des Klimawandels.

Entwicklungspolitik
Alle paar Jahre wird ein Bekenntnis zur Bekämpfung von Armut und Hunger abgegeben, doch es wird kaum in die Unterstützung kleinbäuerlicher Strukturen investiert, nicht in die Entwicklung von Human-ressourcen, nicht in die Produktion von Lebensmitteln, nicht in ihre Vermarktung.

Während die Ländliche Entwicklung in den 60er und 70Jahren den bedeutendsten Bereich der Ent-wicklungszusammenarbeit dargestellt hat, wird ihm seither von Jahr zu Jahr weniger Bedeutung bei-gemessen. Trotz zunehmender Globalisierung von Produktion und Handel, trotz des klimatisch be-dingten Verlusts an Anbauflächen und trotz wachender Weltbevölkerung geht der Anteil an Förderung der ländlichen Entwicklung in der europäischen Entwicklungszusammenarbeit zurück. Österreich re-duziert jährlich seinen Anteil an direkter programmierbarer Hilfe an Entwicklungsländer. Für Beiträge zur lokalen Ernährungssicherung bleibt da kein nennenswerter Betrag mehr übrig.

Was ist zu tun?
Politik muss neu gedacht werden, wenn eine systemische Lösung gefunden werden soll. Anlässe gibt es am laufenden Band: die Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU steht an; die nächste UN-Klimakonferenz findet im November statt; der Mehrjährige Finanzrahmen für die EU wird verhandelt. Österreich könnte Profil zeigen, Vernunft beweisen, Weitblick signalisieren und mit intelligenten Vor-schlägen Europas Politik den richtigen Kick geben.

Und jedes Jahr wieder hat Österreich unmittelbar die Chance, seine eigene Politik an Menschenrech-ten auszurichten, sie fair und nachhaltig zu gestalten, zB. mit einer signifikanten Aufwertung der Öster-reichischen Entwicklungszusammenarbeit und der Auslandskatastrophenhilfe sowie der Bereitstellung echten Geldes für die Klima-Anschubfinanzierung. „Wir täten ja, wenn wir könnten, aber die Krise …!“, lautet das leidige Argument unserer politischen EntscheidungsträgerInnen. Gilt nicht! Es ist genug für alle da, es braucht eine gerechtere Verteilung. Die Konzepte liegen vor.


Rückfragen: Globale Verantwortung – Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe, Mag.a Petra Navara-Unterluggauer, Tel. 01/ 522 44 22-11; Foto: Mediendienst