Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Interview
Die Europäische Union ist eine wichtige Akteurin in der Entwicklungspolitik. Gemeinsam mit dem europäischen Dachverband CONCORD engagiert sich die AG Globale Verantwortung für die Vision eines gerechten, fairen Europas in der Welt. Ein Gespräch mit Johannes Trimmel, bis Ende 2020 Präsident von CONCORD, über die Entwicklungspolitik der EU.
Die Pandemie hat gezeigt, dass Errungenschaften mit unglaublicher Geschwindigkeit wieder verschwinden. In der Wiederaufbauphase wird es darum gehen, negative Entwicklungen – wie Rückschritte in der Armutsbekämpfung und Geschlechtergerechtigkeit – auszugleichen und einen vorausschauenden Wiederaufbau in die Wege zu leiten. Ob das gelingen kann, ist aber fraglich, da der Fokus involvierter AkteurInnen auf dem wirtschaftlichen Wiederaufbau liegt. Der wird weder inklusiv sein noch versuchen, etwa gestiegene Ungleichheiten zu adressieren.
Jedes wirtschaftliche Investment müsste mit Investments in den Sozialbereich einhergehen. Dafür sehe ich in Projektländern und auch in der EU kaum Anzeichen. Es fehlen Mechanismen, um soziale Härtefälle abzufedern. Zugänge zu Ressourcen – Sozialtransfers oder Impfstoffen – sind sehr ungleich verteilt. Die soziale Säule hat weder für die EU-Kommission noch für viele Regierungschefs Priorität. Es fehlt ein Bekenntnis, dass nachhaltige Entwicklung nur mit einer gleichzeitigen sozialen Nachhaltigkeit erreicht werden kann.
Grundsätzlich ist die Schwerpunktlegung auf den Green Deal eine gute Ansage, doch die konkrete Umsetzung ist noch offen. Zeichnet sich tatsächlich ein Wandel ab oder wird die Politik fortgesetzt wie bisher, nur mit Klimaschutzmascherl? In den Prioritäten der Kommission unter Ursula von der Leyen ist von Stronger Europe in the World, European Way of Life und European Democracy die Rede. Aber bedeutet ein stärkeres Europa, europäische Interessen durchzusetzen oder einen Beitrag für eine nachhaltigere und gerechtere Welt leisten zu wollen? Gerade im wirtschaftlichen Bereich deutet einiges auf Ersteres hin, weshalb wir bei CONCORD kritisiert haben, dass in die Definition entwicklungspolitischer Instrumente im Mehrjährigen Finanzrahmen der EU (MFR) weder Partnerländer noch zivilgesellschaftliche Organisationen eingebunden wurden.
Natürlich sind im MFR ein paar Schritte Richtung nachhaltige Entwicklung gemacht worden, aber es hat an Ambition gefehlt. Dabei hat der Entwurf etliche Vorschläge enthalten, die aufgrund des Vetos einiger Mitgliedstaaten, inklusive Österreichs, gestrichen wurden. Den thematischen Instrumenten wurde viel zu wenig Gewicht beigemessen. Darunter fällt etwa die Unterstützung globaler Gesundheit, von Menschenrechten oder der Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen.
In den letzten zehn Jahren ist der Raum für Zivilgesellschaft definitiv kleiner geworden – ein Trend, der innerhalb Europas, in unseren Partnerländern, aber auch global beobachtet werden kann. Diese Veränderung drückt sich vor allem in gesetzlichen Regelungen aus, etwa im umstrittenen NGO-Gesetz Ungarns, das allerdings nach massiver Kritik von europäischer Ebene und gerichtlich verhindert werden konnte. Hinzu kommt eine bewusste Medienarbeit gegen zivilgesellschaftliches Engagement: Der Begriff „NGO Wahnsinn“, wie es ein österreichischer Politiker einmal ausgedrückt hat, war kein Einzelfall. Neben Justiz, demokratischen Institutionen wie Parlamenten und den Medien wird auch die Zivilgesellschaft beschädigt. Ohne freie Meinungsäußerung geht es in Richtung illiberale Demokratie, das ist besorgniserregend.
Dieses Interview ist im Jahresbericht 2020 der AG Globale Verantwortung erschienen.
(hh)