Arbeitsgemeinschaft für Entwicklung und Humanitäre Hilfe
Beitrag
Im dritten Teil unserer Beitragsserie zur vierten internationalen Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung (FfD4) zeigen wir, wie das aktuelle Ausmaß der internationalen Schuldenkrise zustande kam, welche Risiken die Krise birgt und wie sie bekämpft werden könnte. Verschuldete Länder müssen wieder handlungsfähig werden, um klimabedingten Belastungen zu begegnen und Entwicklungsziele erreichen zu können.
Die öffentliche Auslandsschuldenkrise ist kein neues Problem. Bereits im Zuge der Coronapandemie haben wir eine Beitragsserie veröffentlicht, um auf die Zuspitzung der Schuldenproblematik aufmerksam zu machen. Seitdem hat sich die Situation weiter verschärft: Einige Studien gehen von einem Höchststand der Verschuldung in den Jahren 2024-25 aus. Andere schätzen die Situation noch pessimistischer ein und erwarten, dass die Schuldendienstbelastung in den nächsten zehn Jahren sogar noch weiter wachsen wird. Dieser Schuldendruck könnte mehrere Länder in die Insolvenz treiben. Mehr als die Hälfte der Länder mit niedrigem Einkommen (LICs) sind stark verschuldet. Mehr als drei Milliarden Menschen leben derzeit in Ländern, die mehr Geld für Zinszahlungen ausgeben als für Bildung und Gesundheit – und in mindestens 47 Ländern ist die Verschuldung so hoch, dass sie die Menschenrechte gefährdet.12
Eine Schuldenkrise liegt vor, wenn die Staatsverschuldung eines Landes seine wirtschaftliche Stabilität gefährdet. Die Regierung ist in ihrer Handlungsfähigkeit dann so weit eingeschränkt, dass grundlegende wirtschaftliche und soziale Rechte der Bevölkerung nicht mehr sichergestellt sind. In einer öffentlichen Auslandsschuldenkrise erreichen Verbindlichkeiten des Staates gegenüber ausländischen – staatlichen oder privaten – Gläubigern ein Ausmaß, das zur Destabilisierung führt. Für den Internationalen Währungsfonds (IWF) und Ratingagenturen ist das Risiko von Zahlungsausfällen zentral, um Schuldenkrisen beschreiben zu können.3
Neben den finanziellen Nachwirkungen der Pandemie, während der unter anderem die Tourismuseinnahmen, Rücküberweisungen von Migrant*innen (remittances) und Exporterlöse stark einbrachen, ist die Schuldenproblematik unter anderem auf die sich verschärfende Klimakrise und die Zunahme von Extremwetterereignissen zurückzuführen. Diese betreffen überproportional Länder des Globalen Südens.4 Hinzu kommt, dass der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine zu einem Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise geführt hat. Der Anstieg der Zinssätze hat außerdem die Schuldenlast erhöht und die Refinanzierung erschwert, und die Abwertung lokaler Währungen gegenüber dem Dollar hat die Rückzahlungslast zusätzlich vergrößert.5
Langfristig lässt sich ein niedrigeres Wirtschaftswachstum als bisher beobachten. Das ist mit Blick auf Verschuldung insofern problematisch, als laut Weltbank (2023) die Auslandsverschuldung der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen in den letzten zehn Jahren stärker gestiegen ist als das Wirtschaftswachstum, vor allem in Ländern auf dem afrikanischen Kontinent. 54 Staaten geben mehr als zehn Prozent ihrer Einnahmen allein für Nettozinszahlungen aus, fast die Hälfte davon in Afrika. Auch europäische Länder wie die Ukraine oder die Republik Moldau sind betroffen. Wirtschaftswachstum allein reicht aber nicht aus, um Probleme und Ungleichheiten im Globalen Süden zu bekämpfen. Es braucht eine umfassende Restrukturierung von Entwicklungsfinanzierung.
Die Kosten zur Rückzahlung von Schulden (Schuldendienst) übersteigen mittlerweile die finanziellen Transferleistungen aus dem Globalen Norden an Länder des Globalen Südens: Entwicklungshilfeleistungen (Official Development Assistance, ODA) wurden gekürzt, private Investor*innen ziehen sich zurück, und China vergibt weniger Kredite. Insgesamt bleibt der Zugang zu internationalen Kreditmärkten auch nach der Pandemie schwierig.67
Die aktuelle Schuldenproblematik trifft mit einem erhöhten Finanzierungsbedarf in Ländern des Globalen Südens zusammen: Verschuldete Länder müssen unter anderem verstärkt investieren, um sich den Folgen des Klimawandels anpassen zu können und ihren Verpflichtungen des Pariser Klimaabkommens nachzukommen. Die ärmsten Länder sind zudem oft auch diejenigen, die den größten Teil der weltweiten biologischen Vielfalt beherbergen. Ihre Haushalte sind aber so stark belastet, dass sie wirtschaftliche Aktivitäten fördern müssen, die der Umwelt und der biologischen Vielfalt schaden, nur um ihren Schuldendienst zu leisten. Kurzfristige Einnahmequellen sind zum Beispiel Abholzung, Bergbau, industrielle Landwirtschaft und die Extraktion fossiler Brennstoffe – mit verheerenden langfristigen ökologischen Folgen. Ohne einen effektiven Schuldenerlass bleiben die Zusagen dieser Länder zum Schutz der Biodiversität unerfüllbar.8 Angesichts der ökologischen und globalen Risiken ist Handeln dringend geboten.
Forderungen nach Schuldenerlassen und Reformen des internationalen Systems zum Umgang mit Staatsschulden sind nicht neu.9 Papst Franziskus rief in alter christlicher Tradition beispielsweise dazu auf, das Jahr 2025 zu einem Erlassjahr zu machen, um globale Ungleichheiten zu verringern.10 Auch die vierte internationale Konferenz zu Entwicklungsfinanzierung Ende Juni bietet die Möglichkeit, Staatsverschuldung neu zu diskutieren – und zu reformieren. Nach der ersten und zweiten Runde der Verhandlungen für den finalen Text des Outcome Documents der Konferenz sehen wir, dass Ver- und Entschuldung zusammen mit anderen systemischen Fragen und der ODA-Leistungen die Themen sind, bei denen bisher noch keine Einigung gefunden wurde. Diese werden jetzt umso wichtiger.
Zivilgesellschaftliche Organisationen und die G77-Länder sehen den Kern der Schuldenproblematik im Fehlen eines gerechten Schuldenregulierungsmechanismus. Unverhältnismäßigen Schulden müsse mit Schuldenschnitten begegnet werden, um Menschenrechte und Nachhaltigkeit zu fördern – die finanziellen Möglichkeiten, Entwicklungsziele erreichen zu können, sollten ohnehin immer gewährleistet sein. Hierfür müssten menschenrechtliche und entwicklungspolitische Folgenabschätzungen in Analysen zur Schuldentragfähigkeit einbezogen werden, um den Fokus über rein wirtschaftliche Kriterien hinaus zu erweitern. Momentan seien sowohl die Vergabe als auch die Rückzahlung von Schulden intransparent; es brauche allgemeinverbindliche und verpflichtende Prinzipien für verantwortungsvolle Kreditaufnahme und -vergabe sowie deren Durchsetzung.11
Eurodad und andere zivilgesellschaftliche Organisationen fordern daher eine neue UN-Rahmenkonvention zu Staatsverschuldung. Regierungen dürften Schuldendiensten keinen Vorrang mehr vor der Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen und der Gewährleistung der Menschenrechte einräumen. Weitere wichtige Reformen wären Neubewertungen der Schuldentragfähigkeit, ein automatischer Mechanismus zur Aussetzung der Schuldenzahlungen bei externen Schocks, die Förderung nationaler Gesetzgebung und die Regulierung bestimmter Merkmale des Finanzsystems. Alle UN-Mitgliedsstaaten müssen mitverhandeln können.12
Bisher blockieren Gläubiger, darunter europäische Länder und die Europäische Kommission, tiefgreifende Reformen der Schuldenarchitektur. So bleiben sie in der Machtposition, aus der heraus sie Entscheidungen treffen können. Europäische UN-Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission müssen die Bemühungen der Regierungen des Globalen Südens unterstützen, die versuchen, auf der Konferenz in Sevilla ehrgeizige und positive Ergebnisse zu erzielen. Die Tatsache, dass die ehemaligen Kolonialmächte des Globalen Nordens überhaupt erst durch die Kolonisierung an ihren Reichtum gekommen sind und dem Globalen Süden gegenüber in einer unermesslichen Schuld stehen, unterstreicht die Ungerechtigkeit der derzeitigen Schuldenarchitektur und den dringenden Reformbedarf.
(ab)