Die vierte internationale Konferenz für Entwicklungsfinanzierung, die vom 30. Juni bis 3. Juli in Sevilla stattfindet, markiert einen entscheidenden Moment für die Reform der internationalen Finanzarchitektur. Bereits zwei Wochen vor der Konferenz beschlossen die teilnehmenden Staaten das Abschlussdokument, den sogenannten Compromiso de Sevilla. G77-Staaten sowie Vertreter*innen aus der internationalen Zivilgesellschaft sind vom Ergebnis enttäuscht.

Weg zur Konferenz durch geopolitische Veränderungen und Herausforderungen gekennzeichnet

Aus Sicht der internationalen Zivilgesellschaft, vertreten durch den CSO Mechanism, mangelte es dem Verhandlungsprozess zum Abschlussdokument der Konferenz an Transparenz und Offenheit. Während der letzten, entscheidenden Wochen setzten die Organisator*innen auf sogenannte informelle Meetings (Informal Informals) sowie das sogenannte Silent Procedure-Verfahren. Bei diesem gilt der Text bis zum Einspruch eines Staates als beschlossen. Bei beiden Verfahren konnten Vertreter*innen der Zivilgesellschaft nicht direkt bei den Verhandlungen dabei sein. Zwar konnte der CSO Mechanism seit Januar 2025 regelmäßig Stellungnahmen einbringen und an den ersten Verhandlungsrunden teilnehmen. Doch in der entscheidenden Phase blieb die Zivilgesellschaft außen vor.

Kritisiert wird insbesondere, dass sich die verhandelnden Staaten, allen voran die EU und weitere Industrieländer (Australien, Kanada, Japan, Neuseeland, die Schweiz und das Vereinigte Königreich), auf einen Kompromiss geeinigt haben, der kaum über den Status quo hinausgeht. Dennoch stellen sie diesen als Erfolg des Multilateralismus dar. Substanzielle Reformen, neue Initiativen oder inhaltliche Fortschritte blieben aus. Außerdem ist das Bestreben, nach dem kurzfristigen Ausstieg der USA aus dem Verhandlungsprozess Einigkeit zu demonstrieren, in den Hintergrund gerückt. Durch den Ausstieg war nur ein inhaltlich schwacher Kompromiss möglich.

Der Compromiso de Sevilla

Trotz der Dringlichkeit, strukturelle Reformen anzugehen, blieb das Abschlussdokument hinter den Erwartungen vieler Länder des Globalen Südens und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen zurück. Insbesondere die EU-Staaten und das Vereinigte Königreich blockierten verbindliche Fortschritte bei der UN-Schuldenreform. Sie verhinderten damit eine ambitionierte Antwort auf die eskalierende Schuldenkrise im Globalen Süden. Statt klarer Verpflichtungen enthält das Dokument lediglich einen Prozess mit unverbindlichen Empfehlungen. Dies ist ein Zeichen für fehlenden politischen Willen im Globalen Norden, grundlegende Veränderungen zuzulassen.[1][2]

Auch in Bezug auf andere zentrale Themen wie Steuertransparenz und faire Besteuerung ist das Abschlussdokument unzureichend. Zwar wird die Bedeutung progressiver und geschlechtergerechter Steuersysteme betont. Doch konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Steuervermeidung und zur Stärkung der Handlungsfähigkeit von Ländern des Globalen Südens fehlen.[3][4]

Die geopolitischen Verschiebungen der letzten Jahre – von der Pandemie über die Energiekrise durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bis hin zu neuen Machtkonstellationen – haben die internationale Zusammenarbeit zusätzlich erschwert. Viele Geberländer kürzen ihre Entwicklungshilfeleistungen und richten sie zunehmend an eigenen geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen aus, was die Kluft zwischen Anspruch und Realität weiter vergrößert. Die Finanzierungslücke zur Erreichung der 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) bleibt indes enorm. Laut UNO werden jährlich rund vier Billionen US-Dollar benötigt, um die SDGs bis 2030 zu erreichen. Aktuell sind nur 16 Prozent der Ziele auf Kurs.[5]

G77-Länder stimmten trotz Enttäuschung zu

Die G77, ein Zusammenschluss von Staaten des Globalen Südens innerhalb der UNO, und China bewerten das Abschlussdokument der FfD4-Konferenz in Sevilla kritisch. Sie betonen, dass das Dokument die zentralen Finanzierungsherausforderungen der Länder des Globalen Südens nicht ausreichend adressiert. Dazu zählen die Finanzierungslücke für die SDGs, hohe Schuldenlasten, illegale Finanzströme, Handelsprotektionismus und die veraltete internationale Finanzarchitektur.

Die G77 fordern zusätzliche, qualitativ hochwertige und vorhersehbare Finanzierungszusagen, um nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen. Sie kritisieren, dass das Dokument keine verbindlichen Maßnahmen enthält, um den begrenzte fiskalischen Handlungsspielraum vieler Länder des Globalen Südens zu erweitern. Außerdem fordern sie die Industrieländer sowie internationale Finanzinstitutionen dringend dazu auf, mehr langfristige und günstige Finanzierungen bereitzustellen. Die G77 betonen, dass Verhandlungen zwischenstaatlich und zeilenweise geführt werden müssten, um die Interessen des Globalen Südens angemessen zu berücksichtigten. Insgesamt fehlt es dem Abschlussdokument an Ambition und Verbindlichkeit für die tatsächliche Lösung struktureller Probleme in der globalen Finanzarchitektur.[6][7]

Stimmen aus der internationalen Zivilgesellschaft des Globalen Südens

Die internationale Zivilgesellschaft kritisiert das Abschlussdokument der FfD4-Konferenz als „Illusion eines Konsenses“. Laut des Netzwerks MENA Fem Movement for Economic, Development and Ecological Justice aus der MENA-Region (Mittlerer Osten und Norden Afrikas) wurde dieser künstlich hergestellt. Staaten des Globalen Nordens – darunter die EU, Großbritannien, Kanada und Japan – haben systematisch ambitionierte Reformvorschläge zu Schulden, Steuertransparenz und Klimafinanzierung abgeschwächt oder blockiert. Die USA stiegen kurz vor Abschluss aus dem Verhandlungsprozess aus. Dies nutzten die verbleibenden Staaten, um sich als „Retter des Multilateralismus“ darzustellen. Dabei hatten diese maßgeblich zur Verwässerung der Vorschläge beigetragen. Das Ergebnis ist ein Abschlussdokument, das den Status quo zementiert. Es verhindert substanzielle Reformen und schreibt die strukturelle Benachteiligung des Globalen Südens fort. Aus Sicht des Netzwerks ist dies kein Fortschritt, sondern reines Krisenmanagement. Die verhandelnden Staaten haben grundlegende Machtfragen und die dringend notwendige Transformation der globalen Finanzarchitektur weiter aufgeschoben.[8]

Operation Rising Lioness/Jubilee Justice Coalition und Women in Democracy and Governance (WIDAG) aus Kenia verweist auf die akute Lage. 24 afrikanische Staaten befinden sich in oder nahe an einer Schuldenkrise. Mehrere Länder haben bereits Zahlungsausfälle erlebt, und viele geben mehr für Schuldendienste als für Bildung oder Gesundheit aus. Hinter diesen Zahlen stehen reale menschliche Schicksale – Kinder ohne Schulbildung, unbehandelte Kranke und vernachlässigte Gemeinschaften.

Weiters erinnern Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft daran, dass zahlreiche afrikanische Staatsoberhäupter, der UN-Generalsekretär sowie Führungskräfte von IWF und Weltbank seit langem umfassende Reformen fordern. Se kritisieren die Blockade ambitionierterer Formulierungen durch mächtige Staaten wie die EU und das Vereinigte Königreich als Zeichen mangelnden politischen Willens, sich mit den strukturellen Ungerechtigkeiten des bestehenden Systems auseinanderzusetzen. Private Gläubiger, multilaterale Institutionen und Schuldnerländer müssten gleichberechtigt und inklusiv einbezogen werden. Souveränität, Gerechtigkeit und Durchsetzbarkeit müssten zentrale Prinzipien jeder Lösung sein. Ein faires Schuldenregime sei keine Frage von Wohltätigkeit, sondern von Gerechtigkeit und Menschenrechten.

Kritik auch aus dem Globalen Norden

Auch die europäischen NGOs und Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft sehen im Compromiso de Sevilla, der sich als „Versprechen oder Zusagen aus Sevilla“ übersetzen lässt, nicht den erwarteten großen Erfolg. Beispielsweise kritisiert Christian Aid das Abschlussdokument der FfD4-Konferenz als verpasste Chance für mehr Gerechtigkeit und Demokratie im globalen Wirtschaftssystem. Insbesondere bemängelt die Organisation, dass wichtige Reformen zur Schuldenbewältigung auf vage Empfehlungen abgeschwächt wurden. Zentrale Zusagen zur Klimafinanzierung und zum Abbau fossiler Subventionen wurden gestrichen und die Unterstützung für eine UN-Steuerkonvention verwässert. Zudem habe der Rückzug der USA den historischen Konsens gebrochen und die multilaterale Zusammenarbeit geschwächt. Insgesamt hätten die USA, die EU und das Vereinigte Königreich Fortschritte blockiert und die berechtigten Forderungen des Globalen Südens missachtet.[9]

Insgesamt zeigt der Weg zur FfD4-Konferenz, dass die internationale Gemeinschaft angesichts multipler Krisen und geopolitischer Spannungen bislang nicht in der Lage ist, die dringend notwendigen Reformen für ein gerechteres und nachhaltigeres globales Finanzsystem durchzusetzen.

Kurzsichtiger Kompromiss kann immer noch zu Bewusstsein und Reformen führen

Trotz der inhaltlichen Schwächen und des fehlenden politischen Mutes im Abschlussdokument der FfD4-Konferenz bietet das Ergebnis auch positive Perspektiven. Es werden zentrale Themen wie Schuldenmanagement, Steuertransparenz und Entwicklungszusammenarbeit ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gerückt. Die Zugeständnisse bei der internationalen Steuerpolitik und zur Transparenz im Compromiso de Sevilla deutet die Zivilgesellschaft als positives Zeichen für die kommende Verhandlungsrunde der UN-Steuerkonvention, die zwischen dem 4. und 15. August stattfinden wird.   

Weiters begrüßen wir die Teilnahme der österreichischen Außenministerin Beate Meinl-Reisinger an der Konferenz. Österreich nimmt als UNO-Standort und möglicher Kandidat für einen temporären Sitz im UNO-Sicherheitsrat eine besondere Verantwortung wahr. Nicht nur hochrangige Delegationen, darunter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Vorsitzende der Kommission der Afrikanischen Union Mahmoud Ali Youssouf und weitere Staatsoberhäupter, sondern auch internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft aus Europa und dem Globalen Süden nutzen die Konferenz in Sevilla, um sich aktiv an Diskussionen und Veranstaltungen zu beteiligen und sich für gerechte und inklusive Reformen einzusetzen. Die internationale Zivilgesellschaft ist bereit, dabei ihre Positionen zu den Ergebnissen der FfD4, den Erklärungen der Minister*innen und zu weiteren Reformschritten für ein gerechtes, demokratisches globales Wirtschaftssystem einzubringen. Von der AG Globale Verantwortung wird Karin Kuranda an der Konferenz teilnehmen.

Das Programm zur Konferenz finden Sie hier. Unter anderem finden vorab ein zweitägiges Forum für die internationale Zivilgesellschaft sowie ein feministisches Forum zu Finanzierung statt. Über 800 Vertreter*innen der internationalen Zivilgesellschaft werden erwartet. Außerdem wurden alle Länder und Akteur*innen aufgefordert, im Rahmen der Aktionsplattform von Sevilla eigene Maßnahmen zur Diskussion vorzuschlagen. Bei den Nebenveranstaltungen, bilateralen Treffen, offiziellen Podiumsdiskussionen und öffentlichen Reden werden finanzielle Zusagen, Partnerschaften und politische Veränderungen bekannt gegeben. Es ist wichtig, diese kritisch zu analysieren, da einige von ihnen möglicherweise einseitige Ansätze darstellen, anstatt transformative Lösungen für die Herausforderungen, vor denen die ärmsten Länder der Welt stehen, einzubringen. 

Die Konferenz in Sevilla ist nicht das Ende der Geschichte der Entwicklungsfinanzierung. Das Ziel bleibt vor sowie nach der vierten FfD4 Konferenz aufrecht: ein gerechtes globales Finanzsystem, das auf Fairness und nicht auf Wohltätigkeit basiert.  

(kk)


Fußnoten

[1] Eurodad (14.06.2025): EU and UK block UN-led debt reform in Financing for Development outcome

[2] Eurodad (17.06.2025): Ambitious UN Financing for Development outcome derailed by global north

[3] ebd.

[4] Tax Justice Network (17.06.2025): US ignored as Sevilla ‘financing for development’ outcome is adopted by consensus

[5] Kharas, Ren (17.03.2025): Homi Kharas on FfD4: Can the Sevilla conference reshape global development paradigms?

[6] G77 (03.12.2024): Statement on behalf of the group of 77 and China

[7] Global Policy Forum (03.05.2025): Hurdles on the way to Sevilla

[8] MenaFem (18.06.2025): The Illusion of Consensus: FfD4 and the Fight for Systemic Change

[9] Christian Aid: ‚Weakened words and missed opportunities‘ at the fourth Financing for Development Conference


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